Mittwoch, November 15, 2006

Wo Rocker um die Ecke knallen

Stone Cold – Kalt wie Stein (Stone Cold)
USA 1991
Regie: Craig R. Baxley, Drehbuch: Walter Doniger, Kamera: Alexander Gruszynski, Musik: Sylvester Levay, Schnitt: Mark Helfrich
Darsteller: Brian Bosworth (Joe Huff/John Stone), Lance Henriksen (Chains Cooper), Arabella Holzbog (Nancy), William Forsythe (Ice), Sam McMurray (Lance), Richard Gant (Cunningham)

Synopsis: Ein Mitglied der mit der Mafia kollaborierenden „Bruderschaft“ um Chains Cooper wird verhaftet, nachdem er einen Priester erschossen hat. Die Verurteilung zu „nur“ 45 Jahren Haft ruft den reaktionären Staatsanwalt und Regierungsanwärter „Whip“ Whipperton auf den Plan, der nachträglich die Todesstrafe erwirken will. Indessen hat das FBI bereits den Rockerspezialisten Joe Huff auf die in allerhand Waffen- und Drogenschiebereien involvierte Gang angesetzt. Während Huff unter dem Pseudonym John Stone bald das Vertrauen von Chains und dessen Geliebter Nancy gewinnt, plant die Bruderschaft ihren Kumpel während der neuerlichen Gerichtsverhandlung in einer spektakulären Aktion rauszuhauen.

DER AUSSENSEITER: Nach einer etwas umständlichen Produktionsgeschichte – ursprünglich war Bruce NACHTFALKEN Malmuth als Regisseur vorgesehen, wurde aber gefeuert, weil er den Hauptcharakter zu menschlich dargestellt habe – sollte dieser B-Actionklassiker in den gerade erst beginnenden 1990er-Jahren fertiggestellt werden. Warum ausgerechnet Michael Douglas eine treibende Kraft hinter der Produktion war, wollte sich mir nie so recht erschließen, aber seiner Teilnahme dürfte es wohl zu verdanken sein, dass dieser Film in derartigem Glanz erstrahlen konnte.


FUNKHUNDD: Aber auch Actionspezialist Craig R. Baxley, der hier bei uns und generell mit ACTION JACKSON debütierte, zeichnet dafür verantwortlich, dass STONE COLD – KALT WIE STEIN richtig groß aussieht und mit genau dem Maß inszenatorischer Klasse versehen ist, das vielen anderen Filmen des Genres abgeht.

A: Nachdem die Stunt-Coordinator-Legende die Regie übernommen hatte, wurde das Budget erheblich aufgestockt und es konnte damit begonnen werden, für diesen Film alles richtig zu machen. STONE COLD – KALT WIE STEIN ist ein wunderbarer Vertreter eines Zweitverwertungskinos, das nicht einen einzigen eigenständigen Gedanken formuliert und dabei so auf Hochglanz geputzten B-Film-Dreck präsentiert, dass man der ganzen Produktion noch einmal nachträglich mit einer Medaille gratulieren sollte. Weltklasse!

FH: Völlige Zustimmung, doch leider sah das Publikum das wohl anders: STONE COLD – KALT WIE STEIN war nicht der erhoffte durchschlagende Erfolg beschieden. Brian Bosworth, der hier als neuer Actionstar aufgebaut werden sollte, verschwand und tauchte erst vier Jahre später in einem Direct-to-Video-Film aus der Versenkung auf. Und STONE COLD – KALT WIE STEIN wartet immer noch auf die längst überfällige DVD-Veröffentlichung.

A: Bereits um das Jahr 1988 herum zeichnete es sich langsam ab, dass der gewaltorientierte Actionfilm an Beliebtheit einbüßte. RAMBO III blieb hinter den Erwartungen zurück, Arnie war erfolgreich mit einer Komödie, Chuck Norris begann in der Versenkung zu verschwinden. Die Gewalt wurde in den Augen der Produzenten ein zunehmend unbequemer Bestandteil des modernen Actionkinos und wurde im Verlauf der 90er Jahre immer weiter kaschiert. Zwar konnte grafisch immer mehr geboten werden, doch Dank der sauberen Videoclip-Ästhetik ging einen das als Zuschauer immer weniger an. Diese Entwicklung des Genres hat uns heutzutage ja direkt in die PG13-Ära geführt. Somit kann man STONE COLD – KALT WIE STEIN schon als eine Art matt glänzendes Juwel bezeichnen, das den damaligen Trend ignorierte und noch mal ordentlich „auf die Kacke haut“.

FH: Das stimmt, hier geht es männlich-herb zur Sache, vor allem im wirklich sensationellen Finale, in dem Hubschrauber, Motorräder und jede Menge Schusswaffen einzig zu dem Behufe eingesetzt werden, um eine Orgie der Zerstörung zu entfachen. Aber auch vorher werden diverse Menschen gesprengt, Biker frontal in Autos gerammt, ordentlich vermöbelt oder sonstwie um die Ecke gebracht. Da wundert man sich schon über die Auskunft, dass STONE COLD – KALT WIE STEIN seinerzeit angeblich massiv heruntergekürzt wurde, um noch ein R-Rating zu bekommen.

A: Man hat bei der Konzeption des Filmes einfach nur vieles potenziert, was sich im vorherigen Jahrzehnt etabliert hatte und vermischt hier alles miteinander. Das beginnt schon mit der Hauptfigur von Football-Profi Brian Bosworth gespielt. Ein weiteres Anabolika-Kraftpaket, das mit scheußlicher Vokuhila-Frisur wie ein Riesenbaby durch den Film trampelt und mit seiner Schmalzbackenfresse sogar olle Seagal in den Schatten stellt. Das Erstaunliche ist nur, irgendwie funktioniert das. An Bosworth ist so vieles übertrieben – seine Klamotten, seine Wohnung, seine heißen Ischen, seine Frisur, sein Leguan als Haustier –, dass es eigentlich schon zur Selbstparodie taugen würde, doch in einer Zeit vor der kommerziellen „Grunge-Revolution“ konnte man jemandem dieses Aussehens noch alles abkaufen. Vieles erinnert da vom Design an FORD FAIRLANE – ROCK’N’ROLL DETECTIVE, wo man Anfang der 90er auch noch glaubte, dass in puncto Mode und Musik alles weitergehen würde wie in den 80er Jahren.

FH: Du sprichst mir aus der Seele! STONE COLD – KALT WIE STEIN markiert mit einigen anderen Filmen – etwa mit LAST BOY SCOUT – DAS ZIEL IST ÜBERLEBEN – die Grenze zwischen dem Achtziger-Actionfilm und dem neuen Actionkino. Aber während Tony Scotts Film mehr in Richtung Postmoderne ausschlägt, gibt sich STONE COLD – KALT WIE STEIN noch etwas bodenständiger. Den Ruf nach einem starken Staat, wie er in den Achtzigern ständig erklang, vernimmt man hier eher selten. Es ist Brian Bosworth, der den Film als Kind seiner Zeit erkennbar macht und heute unfreiwillig komisch wirkt. Die Zeichnung seiner Figur ist schon eine schwere Bürde, die dem Film aber merkwürdigerweise keinen nennenswerten Schaden zufügen kann – vielleicht auch, weil Bosworth seine Sache erstaunlich gut macht.

A: Im Grunde konnte einem auch nur zu dieser Zeit vorgegaukelt werden, dass ein großer Haribo-Goldbär wie Bosworth sich in eine so finstere Rocker-Gang wie die „Bruderschaft“ einschleusen kann. Allein schon die Jacke, die Joe Huff, jetzt als John Stone unterwegs, beim ersten Aufeinandertreffen trägt, zeigt die Mode einer Zeit, wo noch an jedem freien Fitzelchen irgendein Bändchen, eine Kette oder sonst irgendein schickes Accessoire baumeln musste. Sein biografischer Hintergrund ist dann der, den wir schon aus vielen Actionkrimis der 70er und 80er Jahre zu genüge kennen und der auf Drehbuchebene gar nicht mehr weiter ausgekleidet werden muss: der, des renitenten, unangepassten Einzelgängers, der bei der Polizei für ein paar Wochen suspendiert wurde, da es ihm an Disziplin mangelt und er Schwierigkeiten mit Autoritäten hat.

FH: Ein letztes Wort noch zu Brian „The Boz“ Bosworth, an dem man gut das kommerzielle Scheitern dieses Films festmachen kann: Mit ihm sollte ja ein ehemaliger NFL-Star zum neuen Actionhelden werden. Das funktionierte aus zweierlei Gründen nicht: Zum einen war der vermeintliche Super-Footballer eine großmäulige Eintagsfliege, der während seiner relativ kurzen Profikarriere eher durch geschickte Marketingtricks und pfiffige Haarschnitte auf sich aufmerksam machte als durch sportliche Leistungen. So war es mit seiner Credibility sowieso schon nicht sehr weit her. Zum anderen hat ihm der modische Wandel, der Anfang der Neunziger vollzogen wurde – weg von blondiertem Vokuhila, lustigen Ohrringen aus Kobrahoden und riesigen Schulterpolstern unter dem Mantel aus Krokoleder hin zum eher bodenständigen Grunge-Look –, wohl endgültig das Genick gebrochen. Ein paar Jahre später, als er dann in dem sehr ordentlichen ONE TOUGH BASTARD auflief, sah er erschreckend normal aus: Einen „normal“ aussehenden Brian Bosworth brauchte aber nun wirklich gar niemand mehr.

A: Ein ganz anderes, wesentlich brachialeres und irgendwie glaubwürdigeres Kaliber stellen da die Mitglieder der „Bruderschaft“ dar. Lance Henriksen als durchgedrehter Rockerboss und der immer verlässliche William Forsythe als seine rechte Hand liefern ein Paradestück ab und reißen den Film schon beinahe an sich. Henriksens Spiel als diabolisch zu bezeichnen wäre noch eine Untertreibung, wirkt er doch eher wie der Leibhaftige selbst, der auf einem Feuerstuhl direkt aus der Hölle hervorgespieen wurde. Kaum wiederzuerkennen mit seinen langen Haaren, braun gebrannt und aufgepumpt, hüpft er wie Rumpelstilzchen durch die Rockerbrut, immer am Rande zur Hysterie, die Grenze zum Overacting auf jeden Fall überschreitend.

FH: Den überlebensgroßen Parts für Henriksen und Forsythe ist es zu verdanken, dass STONE COLD – KALT WIE STEIN insgesamt ein deutlich interessanterer Film geworden ist als der zuletzt besprochene DER TIGER, mit dem STONE COLD – KALT WIE STEIN seine klassisch zu nennende Story teilt, die auch hier von einem alten Fernsehveteran verfasst wurde. Henriksen ist meiner Meinung nach sowieso einer der besten Akteure seiner Altersklasse. Leider (oder zum Glück?) durfte er sich nie an einer Hauptrolle in einem richtig großen Film versuchen. In einer gerechten Welt hätte er aber in den mittleren Neunzigern wenigstens kleine, ihm auf den Leib geschriebene Minirollen in Tarantino-Ablegern mit Leben füllen dürfen, mit denen sich seine Kollegen Walken, Hopper und Keitel die Rente aufgebessert haben. Forsythe gibt den Psycho, den man von ihm gewohnt ist, mit viel Gusto. Bei soviel Power verkommt Bosworth vor allem im Mittelteil fast zur Nebenfigur, was dem Film aber ausgesprochen gut tut.

A: Baxley verliert den Film bis zum Showdown nicht aus den Augen. Er schafft einen sicheren Balanceakt zwischen Dialogszenen und explosiver Action, sodass man tatsächlich ein Interesse an der Story entwickelt. Auch, wenn es bei einer so spektakulär eingeführten Figur wie Joe Huff/John Stone völlig klar ist, dass er am Ende die bösen Rocker ordentlich vertrimmt – zu Beginn nimmt er ein paar Gangster im Supermarkt fest und erledigt parallel(!) seine Einkäufe – , so geht man trotzdem mit seiner Figur mit, verfolgt die Infiltrationsgeschichte und wird gekonnt in die Welt der „Bruderschaft“ eingeführt. Baxley entwirft anhand des Drehbuchs von Routinier Walter Doniger, der hier seine letzte Arbeit abgeliefert hat, die Gegenwelt der „Bruderschaft“, die sich aus alten Easy-Rider-Träumen, anarchistischem Rebellentum und einem ritterlichen Ehrenkodex ihre eigene Mythologie geschaffen hat und damit Sinnbild ist für den Mythos, den eben diese Motorrad fahrenden Vereinigungen sowohl im Kino als auch in der Gesellschaft haben. Ihre misogynen Herrschaftsstrukturen, ihre rassistischen Insignien des Aufstands in Form von Südstaatenflagge und Hakenkreuz, ihre altnordischen Wikingerrituale, all das zeichnet sie als das, was sie immer sein wollen: große brutale Jungs, die der absoluten Freiheit und Wunscherfüllung ihrer Allmachtsphantasien nachgeben und bereit dafür sind, das System zu stürzen. Sie machen Geschäfte mit der Mafia, den anderen Feinden des Systems, doch während die „Spaghettifresser“ nur als kriminelle Geschäftemacher ohne Ehre erscheinen, hat die „Bruderschaft“ höhere Ziele. Sie investieren das Geld in den Kampf um die Freiheit, der sich im Showdown auf spektakuläre Weise entlädt.



FH: Nach den Pseudorockern aus DER TIGER haben wir hier also einen Film vor der Brust, der mit seinem Sujet sehr viel mehr anzufangen weiß. Auch wenn überzogene Deppenspäße wie der, sich gegenseitig Bierdosen mit scharfer Munition vom Kopf zu schießen, nicht gänzlich ausgespart werden, so erkennt man in den angesprochenen Elementen einige realistische Bezüge wieder, angefangen bei den Nazi-Insignien oder eben der Verbindung zum organisierten Verbrechen. Die Rockergang ist ohne Zweifel an den Hell’s Angels der Sechziger angelehnt und nicht einfach nur ein marodierender Haufen von Chaoten, wie man das so oft in unbedarften Exploitern sieht. Das Umkippen der von dir angesprochenen Utopie des Außenseitertums verschafft dem Oberschurken Chains sogar einen beinah tragischen Zug. Er ist nicht durchgängig ein Arschloch, mehr als einmal schneidet die „Bruderschaft“ gegenüber den spießigen und heuchlerischen staatlichen Instanzen sogar recht sympathisch ab.

A: Ein wichtiger Aspekt, den wir bei HART WIE STAHL – MADE OF STEEL noch genauer beleuchten werden.

FH: Dass die Kriminalität, anders als in vielen anderen Rockerfilmen, nicht dem Rockertum inhärent ist, sondern eben erst aus dessen Antagonismus entwächst, wird vor allem evident, wenn man betrachtet, wie der Staat in STONE COLD – KALT WIE STEIN auftritt. Immer wieder erklingen im Hintergrund aus Radios oder laufenden Fernsehgeräten die volksverhetzenden Ansprachen des Todesstrafen-Befürworters Whipperton – nicht nur aus politischer Sicht ist der Einsatz der reaktionären Tiraden effektiv: Ihre ständige Präsenz verleiht dem Zuschauer den Eindruck, hier tatsächlich eine Gesellschaft zu beobachten, in der mehr passiert als nur das, was zu sehen ist.

A: Hier wird dem Filmkosmos eine gewisse Komplexität verliehen. Sowohl die Politiker, als auch die Vertreter der Justiz und das gemeine Volk erscheinen nur in Andeutungen und wirken genau dadurch seelenlos und obrigkeitshörig. Die Kompromisslosigkeit der Rocker wird zur Kompromisslosigkeit des Films. Warum sie reihenweise Priester umnieten, wird mit keinem Wort erklärt. Sie tun es eben.

FH: Und ihr ungezügelter Lebensstil befällt den Film auch in anderer Hinsicht: Es ist schon erstaunlich wie offensiv hier nackte Tatsachen zur Schau gestellt werden. Vielleicht hat Michael Douglas sich den Appetit auf BASIC INSTINCT beim Gucken dieses Films geholt ...

A: Der No Holds Barred-Showdown im Gerichtsgebäude, wo Chains als Priester verkleidet mal eben Executioner, Judge and Jury in einem mimt, wirkt wie ein Befreiungsschlag gegen eben diese Lemminge und braucht sich nebenbei gesagt auch hinter heutigen Großproduktionen nicht verstecken. Chains trägt das Gewand der „Unantastbaren“ und kann durch genau diese Camouflage in die höchsten Instanzen vordringen. Wenn er die Uzi einmal „durchzieht“ und dabei den gesamten Gerichtshof samt Gouverneur zum Teufel jagt, kann einem schon die Spucke wegbleiben. Alles in allem ein rundum gelungener Vertreter seiner Zunft.

FH: Genau. Ein Film, der ein Motorrad durch ein Fenster und in einen Helikopter hineinkrachen und diesen dann brennend auf ein Auto abstürzen lässt, hat eigentlich alles, was es braucht. Dass dann auch noch Lance Henriksen und William Forsythe mitmischen dürfen, ist ja schon fast größenwahnsinnig ...

Donnerstag, November 02, 2006

Draußen vor der großen Stadt stehen die Rocker sich die Füße platt

Der Tiger (Eye of the Tiger)
USA 1986
Regie: Richard C. Sarafian, Drehbuch: Michael Thomas Montgomery, Kamera: Peter Lyons Collister, Musik: Don Preston, Schnitt: Gregory Prange
Darsteller: Gary Busey (Buck Matthews), Yaphet Kotto (J. B. Deveraux), Seymour Cassel (Sheriff), Bert Remsen (Father Healey), William Smith (Blade), Kimberlin Brown (Dawn)

Synopsis: Der verdiente Vietnam-Veteran Buck Matthews kehrt nach einer Haftstrafe, die er einem korrupten Sheriff zu verdanken hat, zurück in seinen texanischen Heimatort, wo Frau und Tochter auf ihn warten. Doch das Dorf hat sich während seiner Abwesenheit verändert: Eine Rockerbande, die in einem in der Wüste gelegenen Camp Drogen herstellt, terrorisiert mit Duldung des Sheriffs die Einwohner. Als Buck einer Frau zu Hilfe eilt, landet er auf der Schwarzen Liste der bösen Buben. Ihre Rache kostet Bucks Frau das Leben und weil er vom Gesetz keine Hilfe erwarten kann, nimmt er den Kampf allein auf ...

FUNKHUNDD: DER TIGER ist ein vordergründig recht typischer Vertreter des Actionkinos der Achtziger. Es gibt einen Racheplot, einen tapferen und aufrichtigen Vietnamveteranen, einen korrupten Gesetzeshüter und abgrundtief böse Schurken. Dennoch hakt Regisseur Sarafian nicht einfach nur die klassischen Eckpunkte ab, sondern baut einige kleine Variationen ein, die DER TIGER interessant machen.

DER AUSSENSEITER: Diese Variationen fielen mir leider etwas zu gering aus, sodass der Film mich kaum zu fesseln vermochte. Aber der Reihe nach: DER TIGER erinnert an die Straßenwestern der 1970er wie DER GROSSE AUS DEM DUNKELN oder EIN MANN NIMMT RACHE, erreicht allerdings deren kompromisslose Qualität nur selten. Dramaturgisch bleibt er dann auch eher auf Fernsehniveau und kommt im Stile alter Westernserien daher. Letzteres verwundert nicht, wenn man sich, von einer Ausnahme abgesehen, das Oeuvre des Regisseurs so ansieht.

FH: Stimmt, denn Sarafian ist zwar ein seit den Fünfzigern tätiger Regieveteran, hat allerdings überwiegend für das Fernsehen gearbeitet, u. a. für die Serien BATMAN, SOLO FÜR O.N.K.E.L., BONANZA, MAVERICK oder THE TWILIGHT ZONE, um nur einige wenige zu nennen. Sein bekanntester Film dürfte wohl das Roadmovie FLUCHTPUNKT SAN FRANCISCO sein, heute tritt er überwiegend als Schauspieler auf, dafür hält sein Sohn Deran die Regiefahne weiterhin hoch. Kameramann Collister, hier mit seinem vierten Film als DP, ist mittlerweile gut im Geschäft, hat zuletzt etwa GARFIELD 2 und THE AMITYVILLE HORROR gemacht.

A: Deran Sarafian durfte nicht nur diese eine Fahne hochhalten, sondern auch als Hauptdarsteller in Fulcis/Matteis ZOMBIE III die Reihe amerikanischer Schauspieler erweitern, die sich in Produktionen der südeuropäischen Filmindustrie versuchen. Aber zurück zum Film. Sarafian tut sich ganz schön schwer damit das schwache Drehbuch von Michael Thomas Montgomery umzusetzen. Es will ihm nicht so recht gelingen eine Plausibilität in der Handlung nachzuzeichnen.

FH: Das sehe ich zwar ganz anders, aber dass Sarafian aus der alten Regieschule kommt, sieht man DER TIGER an. Großen formalen Hokuspokus gibt es nicht, stattdessen erinnert sein Film wie du schon angedeutet hast an die alten Western: der Held, der nach langer Abwesenheit in seine Heimat zurückkommt und auf Widerstände stößt, die staubige Kulisse Texas’, der kleine Ort, der vor Angst wie gelähmt ist.

A: Nur befindet sich der Film in einer Zeit, die gute 100 Jahre später anzusiedeln ist und aus den sich daraus ergebenden Implikationen macht Sarafian leider wenig. Die in den 1950er Jahren als Störer der Ordnung oder einfach nur Bürgerschreck konzipierten Rockerfiguren stehen seit den 1980ern für eine enorme Vielfalt an Repräsentationen. Sie symbolisieren „Born to be wild“ sowohl auf Ebene der Freiheitsfindung als auch der Kriminalität. Nicht mehr im Sinne einer desorientierten Jugend wie sie noch in DER WILDE oder DIE SAAT DER GEWALT dargestellt worden ist, sondern als eine mögliche Alternative zur Gesellschaft. Sarafian arbeitet sparsam, was zu Beginn noch schön in die Handlung einführt. Danach wirkt das Ganze aber irgendwie uninspiriert.

FH: Ja, dass die Bösewichter Rocker sind, ist eine relativ willkürliche Wahl, die vor allem aus optischen Erwägungen erwachsen zu sein scheint – eine mit Helmen maskierte, de-individualisierte Schwadron, die auf ihren Stahlrössern die Stadt überfällt. Was du „uninspiriert“ nennst, würde ich positiv als „klassisch“ bezeichnen. Will sagen, dem Film geht es nicht in erster Linie um elaborierte Action-Set-Pieces oder formalen Budenzauber, sondern um den human factor. Das gelingt nicht zuletzt wegen Gary Busey, hier eine seiner wenigen positiven Hauptrollen spielen darf. Die Identifikation mit ihm hält den Film zusammen und hilft über manche Holprigkeit hinweg. Als verzweifelter Rächer ist er perfekt, weil allein sein Gesicht ihm schon die nötige innere Zerrissenheit und Ambivalenz verleiht. Buck Matthews ist nicht der überstilisierte strahlende Held wie man ihn sonst aus den Filmen dieser Zeit kennt, sondern ein ganz normaler Durchschnittstyp.

A: Dies bezieht sich m. E. nur auf Buseys Gesicht, das durch sein ausdrucksstarkes Profil punktet. Die Charakterisierungen sollen sich hauptsächlich aus den Dialogen ergeben, aber die reißen die Dinge immer nur an, statt sie zu vertiefen. Das schauspielerisch durchaus vorhandene Potenzial von Busey wird leider nicht voll ausgeschöpft. Die enorm lange Anlaufzeit des Filmes – es dauert fast 50 Minuten bevor Busey etwas unternimmt und nach dieser Aktion passiert wieder erstmal lange Zeit nichts – könnte die Überlegung stützen, dass Sarafian keinen einfachen „Hau Drauf“-Actioner drehen wollte.

FH: Hmm, ich habe den Film überhaupt nicht als langweilig empfunden. Und dass der Film erst nach 50 Minuten in Fahrt kommt – vorher gibt es immerhin Bucks Rettungsaktion, die Rache der Rocker und ihr Auflaufen bei der Beerdigung –, liegt wohl daran, dass dem Film ein recht traditioneller Spannungsbogen zugrunde liegt. Dass hier keineswegs nur Klischees gerührt werden, lässt sich etwa an der kontrastierenden Eröffnungsmontage ablesen, die meine Erwartungshaltung völlig auf den Kopf gestellt hat. Da werden zwei Typen eingeführt, die sich zueinander wie Antipoden verhalten: der in Arbeiterklamotten gewandete einfache Amerikaner, der seine Strafe abgebüßt hat und geläutert aus dem Knast kommt auf der einen, der schnieke Waffenhändler/Drogendealer aus Kuba, der Champagner schlürfend auf dem Rücken einer schicken Limousine Platz nimmt und sofort wieder den großen Coup plant, auf der anderen Seite. Hier scheint der Konflikt – guter Ami gegen fiesen Kubaner – des kommenden Filmes eingeleitet zu werden, doch stattdessen entpuppt sich der Kubaner als Knastfreund Bucks.

A: Was Du da schilderst sind für mich aber eher Typzuweisungen als wirkliche Charakterisierungen. Matthews ist der Typ „aufrecht arbeitender Amerikaner“ und Jamie der Typ „Tony Montana für Arme“. Daraus lässt sich innerhalb eines begrenzten Genrerahmens etwas über die Grundausrichtung ihrer Figuren sagen, aber nicht wirklich welche Charaktereigenschaften sie haben. Von den von dir angedeuteten Elementen wird nichts weiter entwickelt. Die Figur des Jamie spielt nach dem fünfminütigem Beginn überhaupt nicht mehr mit. Bucks Zurückgezogenheit und sein Wunsch, wieder klein anzufangen, werden standardisiert abgehakt. Ebenso die Bedrohung durch die Rocker, die mal kurz angedeutet wird, indem drei durchs Kaff fahren. Die Szene mit der Krankenschwester, die Buck vor den Rockern rettet, hat eine schlechte Einstellungsauflösung, was man so auch auf die Szene ummünzen kann, in der sich die Rocker rächen und Bucks Frau töten. Es bleibt zwar eine gewisse Betretenheit zurück, aber auch nur, weil Sarafian den „Kindereffekt“ nutzt, als Bucks Tochter vor der Leiche der Mutter kniet.

FH: Den Vorwurf, es gäbe hier keine echten Charaktere, kann ich nicht ganz nachvollziehen, arbeitet dieses Genre doch immer mit Klischees und Vereinfachungen. Ausgerechnet diesem Film das vorzuwerfen, halte ich für ungerecht, denn die Typen kommen glaubwürdig rüber, was wohl auch den fähigen Akteuren – Busey, Kotto, Cassel – zu verdanken ist. Dass Sarafian durchaus versucht, von den ausgetretenen Pfaden abzuweichen, zeigt sich etwa in der Szene, in der Buck versucht, die Bewohner seines Heimatorts dazu zu bewegen, ihm zu helfen, aber nur auf Angst, Feigheit und Ignoranz stößt: In Vietnam habe er nicht für die Flagge oder das Land, sondern für seine Heimat, für seine Nachbarn und Freunde gekämpft. Der Einsatz in Vietnam hat ihm Respekt eingebracht, aber auch Feinde: Der Sheriff, der lieber zu Hause geblieben ist, neidet ihm den Ruhm und die Medaillen und hat ihn fortan auf dem Kieker. Matthews selbst scheint seinen vermeintlichen Heldentaten hingegen eher distanziert gegenüberzustehen. Das zeigt sich auch daran, dass es keine sonst relativ gängigen Rückblenden gibt, die die besonderen Umstände von Bucks Einsatz beleuchten.

A: Bucks Ansprache ist eine Szene, wo es Sarafian tatsächlich gelingt, seinem Werk etwas eigenes zu verleihen. Anders als vergleichbare Filme aus der Zeit werden abstraktes Ideologiendenken und Hurra-Patriotismus beiseite geschoben, wenn Buck deutlich macht, dass er für die Menschen kämpfte, die er kennt, die ihn umgeben und definieren. Nicht für eherne Ziele, mit denen sich Politiker schmücken. Allein dies charakterisiert ihn dann tatsächlich mehr als die Dialogszenen. Hier wird auch versucht den Film von dem üblichen politischen Subtext zu befreien.

FH: Für mich gewinnt Buck vor allem durch das Leid, das er erfährt, an Profil. Dass der Film im Auge des Betrachters wächst, liegt daran, dass in Sarafians Film viele Dinge unausgesprochen bleiben oder nur angerissen werden: Bucks Kriegsvergangenheit, der Konflikt mit dem Sheriff, der schließlich zu seiner Haftstrafe führte, Einzelheiten über die Freundschaft zu dem schwarzen Polizisten J. B., die Ereignisse während seiner Haft, die im Laufe des Films noch einmal von Bedeutung sind, aber auch der Hintergrund der Rockergang. Wie auch schon bei NIGHT HUNTER bleiben viele Lücken, die der Zuschauer selbst schließen muss.

A: Ein Konzept welches hier allerdings versagt, da Sarafian, im Gegensatz zu NIGHT HUNTER, keine erzählerische Dichte erreicht. Zu Beginn des Films dachte ich mir noch: „Schön, wie langsam Sarafian den Film entwickelt.“, aber nachdem nach einer Dreiviertelstunde immer noch nichts passiert war, merkte ich, dass der Film sich nicht steigert. Die Actionszenen wirken wie nachträglich eingestreut und sind in ihrer Kontinuität auch nicht immer logisch platziert. Buck und sein Kumpel J.B. hängen mal da rum oder dort rum und rein zufällig kommen dann auch mal wieder ein paar Rocker vorbei. Das wirkt selbst für so einen Film erschreckend einfallslos.

FH: Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich würde auch nicht behaupten wollen, dass DER TIGER ein Meisterwerk ist. Aber er bietet klassisches Heldenkino wie ich mir das gern gefallen lasse. Die angesprochene Lückenhaftigkeit ist besonders bei der Nicht-Charakterisierung der bösen Rocker augenfällig, die noch weniger Persönlichkeit haben als etwa die vergleichbaren Schurken in DIE CITY COBRA. Das ist dann auch einer der größten, echten Schwachpunkte des Films: Es fehlt so ein richtig fieser Obermotz, der dann in einem entsprechend furiosen Showdown besiegt werden muss. Dennoch gelingt es Sarafian ganz gut, den Hass auf die Rocker zu schüren. Besonders die Szene, in der die fiesen Rocker das Begräbnis von Bucks Frau mit ihren Motorrädern stören, lässt einem das Blut mit Hochdruck durch die Schläfen rauschen.

A: Diese Form der strukturellen Gewalt gehört zum wenigen, was mir nach damaliger Erstbetrachtung im Gedächtnis blieb. Die Todessekte in DIE CITY COBRA liefert durch den „Nachtschlitzer“ sowie dessen Gespielin, die bei der Polizei tätig ist, viel stärkere Bezugspunkte zur Handlung als das durch die auch kaum auftretenden Rockerfiguren überhaupt möglich wäre. William Smith, der den Anführer Blade spielt, kann dies durch sein Böse-Gucken und die grölig-versoffene Stimme ausgleichen, aber er kommt gegen die Dialoglastigkeit und seine spärlichen Auftritte nicht an.

FH: Innerhalb dieser wenig exzentrischen Geschichte und deren ebenso gediegener Umsetzung gibt es aber dennoch auch einige Momente, die daran erinnern, in welcher Art von Film der Zuschauer sich befindet. Vor allem die Gewalt, die zwar eher sparsam eingesetzt wird, dafür aber dann ziemlich absurd und over the top rüberkommt. Neben dem an DAS A-TEAM erinnernden Finale, in dem ein mit Granatwerfern ausgestatteter Super-Jeep zum Einsatz kommt, bleibt vor allem die Szene hängen, in der Buck einem ans Krankenhausbett gefesselten Biker eine mit Vaseline eingeschmierte Dynamitstange in den Allerwertesten rammt, um Informationen aus ihm rauszupressen. Natürlich entfernt Buck das Dynamit nicht, nachdem er die nötigen Informationen hat, doch der Rocker stirbt noch vor der Explosion an einem Herzschlag – zu früh, um zu merken, dass die Dynamitstange unecht war.

A: Ja, diese Szene hat Power. Davon hätte ich gerne mehr gesehen, denn so bleibt der Film auf eine gewisse Weise etwas bieder. Der Schlusskampf zwischen Buck und Blade illustriert eigentlich ganz gut die Betulichkeit des Films.

FH: Wobei Blade bestimmt alles andere als betulich drauf war, nachdem Buck ihm die Schnauze voll mit Koks gestopft hat!

A: Sicher nicht, aber mir geht es auch mehr um die Inszenierung und diese kurze Szene reißt den völlig blutleeren Showdown auch nicht in die härteren Gefilde.

FH: Um noch kurz ein Beispiel dafür zu bringen, was ich damit meinte, dass Sarafian die Standards immer ein bisschen variiert, ist das kurze Aufblitzen des unvermeidlichen Selbstjustiz-Vorwurfs, den – wie jeder anständige Actionheld der Achtziger – auch Buck über sich ergehen lassen muss, nachdem er den Gangrape zu Beginn verhindert hat: Der Sheriff, ein Arschloch vor dem Herrn, sagt, er brauche so einen Selbstjustizscheiß nicht in seiner Stadt, ganz im Stile des typischen gesetzestreuen Staatsbeamten. Der Unterschied: Er steckt mit den Bösen unter einer Decke, der Vorwurf wird einzig und allein deshalb von ihm erhoben, weil es die einzige Möglichkeit ist, Buck zu diskreditieren – was angesichts dessen Tat ja vollkommen absurd ist.

A: Na ja, diesen Storyplot, kennt man doch aus vielen amerikanischen Serien. Allein in KNIGHT RIDER wird die Story um den korrupten Sheriff, der die Hauptfigur aus der Stadt haben will und mit den Schurken gemeinsame Sache macht, in mindestens drei Episoden zum Thema gemacht.

FH: Aber da wird Michael Knight wahrscheinlich eher nicht der explizite Vorwurf der Selbstjustiz gemacht, obwohl das ja auch mal was gewesen wäre! Auch wie Sarafian das Rassenproblem anreißt – J. B. sagt, er habe in diesem Kaff zwanzig Jahre gebraucht, um Sergeant zu werden, was jeder andere in einem Bruchteil dieser Zeit geschafft hätte –, finde ich nicht gerade typisch für einen solchen Film. Es sind eben nicht nur die bösen Rocker, die den Unfrieden bringen, sondern nicht zuletzt gesellschaftliche Strukturen.

A: Auch dass wurde schon in Filmen vor mehr als zehn Jahren überzeugender hinbekommen und wirkte da auch glaubwürdiger und nicht so alibimäßig, da es am Puls der Zeit war. Der grandiose Yaphet Kotto ist hier völlig verschenkt und muss sich zu einem Lied von James Brown das parallel (!) zu einem A-TEAM-artigen Errettungslied montiert wurde, durch den Showdown kämpfen. Als Buck dem Sheriff ein paar langt, darf er auch ein aus der Untersicht gefilmtes Bimbolächeln zeigen. Der Film wurde von der Plattenfirma Scotti Brothers produziert, welche die Rechte an dem Gassenhauer „Eye of the Tiger“ hat. Tony und Ben Scotti dachten sich wohl, dass man gleich noch mal abkassieren kann, wenn man das Lied bei einem Actionfilm mit verwurstet. Dies lässt ihn dann leider zu so einer Art A-TEAM für Erwachsene werden. Auch das dem Film den Titel gebende Lied möchte nicht wirklich zünden und steht aufgrund seiner zahlreichen Konnotationsmöglichkeiten eher für sich selbst, als dass es mit dem Film in Verbindung gebracht werden würde. Wirklich schade, denn der Film bietet so viele gute Vorraussetzungen. Da fällt mir ein Zitat meines Opas ein, nachdem wir den Film gesehen hatten: „Dem (Busey) musste man ja immer erst n paar Mal in den Arsch treten, bevor der mal was gemacht hat.“

FH: Ja, die Verwendung des SURVIVOR- und des James Brown-Songs sind etwas peinlich. Da prallen eben die zwei Welten des Films sehr unvermittelt aufeinander: die eher traditionelle Herkunft und der Anspruch, modernes Actionkino zu machen. Ja, DER TIGER ist relativ epigonenhaft, nimmt aber dennoch eine kleine Sonderstellung ein, weil er das komplett ignoriert. Wäre er zehn Jahre vorher entstanden, wären viele Vorwürfe gar nicht aufgekommen. So tritt er aber in Konkurrenz mit Filmen, die eine neue Sprache des Actionfilms geschaffen haben. Zwischen diesen wirkt DER TIGER dann eben etwas altbacken. Ich finde aber gerade das ganz angenehm und bin gern bereit, über die kleineren Mängel hinwegzusehen.