Der Feind im Inneren
Das stumme Ungeheuer (Silent Rage)
USA 1982
Regie: Michael Miller, Drehbuch: Joseph Fraley, Edward Di Lorenzo (uncredited), Kamera: Robert C. Jessup, Neil Roach, Musik: Peter Bernstein, Mark Goldenberg, Katie Sagal, Schnitt: Richard C. Meyer
Darsteller: Chuck Norris (Sheriff Dan Stevens), Ron Silver (Dr. Tom Halman), Steven Keats (Dr. Phillip Spires), Brian Libby (John Kirby), Toni Kalem (Alison Halman), William Finley (Dr. Paul Vaughn), Stephen Furst (Charlie)
Synopsis: Dem in psychiatrischer Behandlung befindlichen John Kirby brennen eines Tages die Sicherungen durch: In einem heftigen Amoklauf bringt er seine Vermieterin und einen Nachbarn um und kann nur durch mehrere Schüsse gestoppt werden, als er sich der Verhaftung durch Sheriff Stevens widersetzt. Anstatt den Gehirntoten so einfach sterben zu lassen, benutzen ihn die Ärzte Halman, Spires und Vaughn für ein Experiment: Sie injizieren ihm ein Mittel, dass seine Selbstheilungskräfte immens beschleunigt und potenziert. Leider geht dieser Schuss nach hinten los, denn nun sieht sich das kleine Städtchen einer unverwundbaren Killermaschine gegenüber ...
FUNKHUNDD: DAS STUMME UNGEHEUER bildet einen idealen Übergang vom zuletzt besprochenen RETALIATOR zu unserem neuen Serienkiller-Block. Auch hier greift die Wissenschaft in Prozesse ein, die sie nichts angehen, ignoriert und überschreitet jegliche bestehende Moral und kreiert so letztlich ein Monster, über das sie keine Kontrolle mehr hat. DAS STUMME UNGEHEUER ist leider massiv unterschätzt und etwas in Vergessenheit geraten. Wohl auch, weil es sich bei Millers Film nicht um einen Actionfilm im eigentlichen Sinne handelt. Man merkt DAS STUMME UNGEHEUER dann auch deutlich an, dass die Macher einige Probleme damit hatten, Norris’ Filmpersona in diesen Stoff zu integrieren, denn die wenigen klassischen Norris-Szenen, wie die saftige Kneipenschlägerei mit einer Rockergang, haben nur wenig Bindung zum restlichen Geschehen. Es überwiegt ganz klar der Horroranteil, der dem Film dann auch seine wirklich herausragenden Momente beschert und ihm einen kleinen Sonderstatus im hier besprochenen „Männerkino“ einräumt.
DER AUSSENSEITER: Der Film eignet sich auch deshalb in der Folge zu RETALIATOR, weil in Millers Film die wissenschaftlichen Aspekte reine Staffage sind, um vor deren Hintergrund wieder die üblichen Fragen über Moral und Ethik eines solchen Tuns aufzuwerfen. Von der Nüchternheit des zuvor besprochenen Filmes ist hier nichts zu merken, vielmehr geht es, wertfrei gemeint, um das spekulative Ausbeuten der Angst vor einer ihr Handeln nicht abschätzenden Wissenschaft und die Sünde, die dieses Sich-an-der-Natur-Vergehen bedeutet. Die Dispute der opponierenden Wissenschaftler erscheinen daher auch weniger präzise als mehr wie Geschwafel. Es ist doch stärker ein Gefühlsfilm, auch wenn er sich sehr kalt und unnahbar gibt. Wenn wir beim äußeren Gerüst anfangen, lässt sich erkennen, dass DAS STUMME UNGEHEUER eine bunte Mischung aus Straßenwestern mit Hillbilly-Elementen, Horror- und Science-Fiction-Film mit Mad-Scientist-Bezug sowie Kampfsportfilm darstellt. Allerdings kann man ihn aufgrund der narrativ nicht ineinander laufenden Genrebezüge eher als Genrebastard, denn als wirklich funktionierenden Genrehybrid bezeichnen. Ähnlich dem tautologischen Prinzip endet der Film mit seinem Anfang: der Konfrontation zwischen Sheriff Stevens und dem Killer John Kirby. Dazwischen scheinen nahezu zwei voneinander getrennte Geschichten erzählt zu werden, die nur selten Berührungspunkte aufweisen.
STEFAN: Mich hat vor allem diese „Mischung“, von der der Außenseiter spricht, fasziniert. Die Erzählstränge aus Mad-Scientist-SF, Horror-/Slasher-Film und natürlich Martial Arts laufen bis zum Ende ja augenscheinlich vollständig nebeneinander her. Das Cross-Over, das der Film versucht zu sein – wohl auch um einige der populärsten Männerfilmmotive kassenträchtig zu machen –, bildet er aber auch in seiner Dramaturgie ab. Mir kam das beinahe schon wie eine subtile Form der Selbstreflexivität vor, dass die Sequenzen erst ziemlich pur einem Genre zuordenbar bleiben und sich gegen Ende immer mehr miteinander vermischen. DAS STUMME UNGEHEUER ist ein Film, der seine Genre-Hybridität in sich selbst noch einmal abbildet: Da bewegen sich Kino-Welten aufeinander zu. Von daher hat mir der dezente Einsatz vor allem der Chuck-Norris-Action sogar sehr gut gefallen. Ich kann mich an keinen Norris-Film erinnern, in dem er so wenig Action, aber so viel emotionale und sogar Liebes- und Sexszenen hatte. Es ist ja nicht so, dass er das nicht darstellen könnte. Das sieht man ja sehr deutlich. Auch wenn sein Mienenspiel – etwa in der Szene, als er seinen sterbenden Buddy entdeckt – nicht gerade facettenreich ist: Man kauft es ihm doch ab. Und dieser „konstruktivistische Anfall“ seiner Freundin, die nach der Liebesnacht sofort wieder an der Möglichkeit einer Beziehung mit ihm zweifelt. Da reagiert er sowas von souverän! Aber reden wir nicht von der Liebe und Verständnis, hier geht es um Mord und Wahnsinn, oder?
FH: Schön, dass der Kelch bei „Mord und Wahnsinn“ sofort an mich weitergereicht wird! Diese beiden schönen Aspekte des menschlichen Daseins werden schon in der Auftaktsequenz, die bereits mit den Credits einsetzt und mehrere Minuten lang ohne Schnitt auskommt, ausgelotet. Die bedrohliche Stimmung dieser Sequenz trägt den Film dann auch über den eher harmlosen Romantik-Subplot und die Kickbox-Action, auf die ihr eben eingegangen seid. Der Film beginnt mit dem Blick auf eine Art Kirchenfenster, neben dem die Credits auf schwarzem Hintergrund platziert sind. Mit Ende der Credits wird zunächst diese schwarze Maske entfernt und gibt den Blick auf eine schmucklose Wand frei, dann schwenkt die Kamera nach unten und zeigt uns einen karg eingerichteten, schummrigen Raum, in dem John Kirby schwitzend und um Fassung ringend auf dem Bett liegt. Miller spielt in der Folge zusammen mit seinem Kameramann sehr häufig mit einer solchen Veränderung des Raums: Da eröffnen sich ständig neue Perspektiven, wird die Aufmerksamkeit vom Bildvorder- auf den Bildhintergrund verschoben. So etwa auch im Anschluss, wenn Kirby, den das Geschrei spielender Kinder in den Wahnsinn treibt und der selbst merkt, wie er die Kontrolle verliert, aus dem Haus in den Garten geht, um eine Axt zu holen, und die Kamera bei seiner Vermieterin im Hausinneren bleibt. Wir sehen das drohende Unheil im Hintergrund durch ein Fenster, während es für die Protagonisten zunächst unsichtbar bleibt. Diese subtile Bildgestaltung und -dramaturgie bleibt beinahe ausschließlich den Szenen um Kirby vorbehalten, während der Strang um Chuck Norris/Dan Stevens auch aus einer damals populären Fernsehserie wie KNIGHT RIDER stammen könnte.
A: Das vermeintliche Kirchenfenster zu Beginn führt mich jedes Mal in die Irre und greift der Stimmung des Filmes voraus. Es geht, wie bereits angedeutet, eben nicht um eine analytische Auseinandersetzung mit der Frage, ob Menschen den genetischen Code manipulieren dürfen, sondern mehr um eine religiös-metaphysische Ebene. Nachdem uns die Kamera die Auflösung schenkt, befinden wir uns nicht in einem, durch das farbige Fenster und die unheilschwangere Synthiemusik suggeriert, Zimmer der Geistlichkeit, sondern im Zimmer eines Geistlosen, der lediglich wirr zusammengestellte Zeitungsausschnitte und ominöse Fotografien an seiner Wand hat und sich wie im Fieberwahn hin und her wälzt. Es fällt bereits in den ersten Minuten auf, dass die Dissoziationen des Filmes sich von Anfang an wie ein roter Faden durch selbigen ziehen. Nicht nur im Hinblick auf die später erkennbaren Genreüberlappungen, sondern auf nahezu allen filmischen Ebenen. Die Gestaltung von Kirbys Zimmer hat etwas Sakrales, aber nein, wir befinden uns nur in einer Absteige irgendwo im mittleren Südwesten, die Tonspur versorgt uns mit permanentem Maschinengewehrsalven, die technisch sehr überzeugend klingen, doch das Geschreie der Kinder macht deutlich, dass es sich nur um ein Kriegsspiel handeln muss. Kirby wird von einem der Kinder ans Telefon gebeten, doch der Zuschauer muss sich erstmal klar machen, dass es sich nicht um Kirbys Eigenheim handelt und er in diesem Hause, das einen familiären Eindruck macht, ein Fremdorganismus ist. Der Grund, warum dies alles vom Zuschauer erstmal entschlüsselt werden muss, liegt in der von Funk schon erwähnten Kameraführung. Die Kamera, die in ihrer Raumerfassung dem menschlichen peripheren Blick ähnelt, weswegen ein Achsensprung befremdlich wirkt, da der Mensch am Hinterkopf keine Augen hat, gewährt uns nur so viel wie wir selbst als Mensch in diesen Räumlichkeiten wahrnehmen könnten. Somit sind wir ihrem suggestiven Blick ausgeliefert wie Kirby seinem Irrsinn ausgeliefert erscheint und können uns nicht in eine gesicherte Position begeben. Eine Distanz wird erstmalig aufgebaut als Sheriff Stevens eintrifft und Norris aus der Untersicht gefilmt geradezu majestätisch den Tatort betritt.
STEFAN: Ja, die Exposition ist exzellent. Nicht nur wird die Eskalation der Bedrohung hier für den Zuschauer regelrecht körperlich nachvollziehbar, auch ist das Irrewerden Kirbys erstaunlich prägnant inszeniert. Das kurze Telefonat mit seinem Arzt, die Großaufnahmen seines schwitzenden, angstverzerrten Gesichts und dann der Absturz in eine Art Apathie. Und das vermittelt alles die Kamera. Überhaupt sucht die Kamerarbeit des Films ihresgleichen. Das merkt man an etlichen Szenen. Da war für mich die Schockszene, als Kirby aus dem Hintergrund mit der Axt ins Haus geht (gefilmt durch das Küchenfenster, während im Vordergrund die Mutter mit den Kindern oder irgendjemandem spricht) und dann seine zielstrebige Verfolgung, die vor der Badezimmertür endet. Wie Kirby die Tür hier mit der Axt öffnet und dann durch den Riss schaut, das zitiert natürlich SHINING, aber kurz vorher gibt es eine ganz kurze Szene, in der der Wahnsinn des Täters für mich noch viel besser filmisiert ist: Der Typ mit dem Unterhemd drischt Kirby einen Stuhl auf den Rücken, dieser hält nur kurz in seiner Türöffnung inne, dreht sich, schlägt dem Angreifer die Axt in die Stirn und macht sich sofort wieder ans Aufhacken der Tür. Ich glaube, eine so knappe Exposition psychischer (Zer)Störung habe ich seit jener legendären Tür-Szene in THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (Leatherface erschlägt einen der Teenager mit einem Hammer, zerrt ihn in seinen Schlachtraum und reißt die Metallschiebetür zu – knapp 5 Sekunden Montagestakkato) nicht gesehen. DAS STUMME UNGEHEUER scheint auf den ersten Blick mit dieser Exposition zu jener Sorte Serienmörderfilmen zu gehören, in der keinerlei Empathie für den Täter gestiftet wird, in der die Pathologie nur kurz angerissen und dann mit der Bekämpfung begonnen wird – hierin wie in vielem ist er Carpenters HALLOWEEN recht ähnlich. Das stimmt aber nur halb, denn Kirby ist eine überaus tragische Person. Nicht nur ist er nicht selbst schuld an seinem Amoklauf, auch wird er ja im Verlauf der Handlung immer mehr zum Instrument der Mad Scientists. Dass sich die Figur ständig auf der Linie zwischen den (bösen) Killern des Slasherfilms und den (kranken) Mördern des eher empathischen Serienmörderfilms bewegt, liegt an der Mimik von Brian Libby (den ich übrigens in Stephen Kings NIGHTSHIFT COLLECTION kennen gelernt habe).
FH: Dieser Axtmord, den Stefan anspricht, ist auch deshalb so beeindruckend, weil er so beiläufig passiert und ganz ohne brachiale Gewalt und Overacting in Szene gesetzt ist. Kirby entledigt sich des Mannes so, wie er sich einer lästigen Fliege entledigen würde, mit einer kurzen, präzisen und somit ungemein pragmatischen Bewegung. Das verleiht der Szene einen immensen Realismus. Es wird nicht nur verdeutlicht wie stark dieser Kirby in seinem Wahn ist, sondern auch mit welcher Emotionslosigkeit er agiert. Das „stumm“ bzw. „silent“ aus dem Titel erscheint mir da durchaus ambivalent: Nicht nur sagt Kirby nach dem Telefonat zu Beginn kein einziges Wort mehr, auch IN ihm spricht nichts mehr. Er ist die jeglicher menschlicher Regung, aber auch jeder Vernunft beraubte Maschine. Der moralisch-religiöse Diskurs dominiert somit nicht nur den Handlungsstrang um die Wissenschaftler und ihre Experimente, stellt die üblichen Fragen nach ihrer Verantwortung und die Grenzen menschlicher Hybris, sondern setzt sich auch in der Zeichnung des „Ungeheuers“ als das Andere, Dunkle fort. Die zahlreichen Tür-Szenen sowie das Finale am Brunnenschacht lassen sich sehr durchgehend als Metapher dafür lesen. Kirby wird als das, was „dahinter“, „im Verborgenen“ lauert, gezeichnet. Und entledigen kann man sich seiner, indem man ihn tief in der Dunkelheit vergräbt, einem Brunnen – wo er aber nur zeitweise entsorgt ist und jederzeit wieder auftauchen kann wie die Schlusseinstellung klar macht. Für diese Interpretation spricht auch die Darstellung Kirbys als Durchschnittstyp. Zwar bringt auch er eine recht beeindruckende Physis mit, mit den maskierten Kampfzombies des Slasherkinos hat er dennoch nur wenig gemein. Auch seine psychische Disposition, die ihn erst umkippen lässt, wird nicht weiter spezifiziert: Sie könnte jeden treffen.
A: Kann mich euren Ausführungen nur anschließen und führe sie noch in meinem Sinne weiter. Der Axtmord macht buchstäblich auf einen Schlag deutlich, in was für einer Realitätskonstruktion wir uns befinden. Hier gibt es keine unrealistischen Splatterszenarien. Der Nachbar bekommt die Axt kurz in den Schädel gerammt, dreht sich noch mit einem zerstörten Gesicht zur Kamera und bricht dann unspektakulär zusammen. Dies verleiht dem Film eine ungewöhnliche, weil authentische Härte und nicht zuletzt durch solch trockene Elemente erweckt der Film den Eindruck eines Kammerspiels. Die von Stefan ins Feld geführte Verbindung zu Carpenter lässt sich zumindest soweit knüpfen, dass Miller den Zuschauer mit einem ähnlichen Minimalismus versorgt. Die Tonspur arbeitet relativ geräuscharm, doch wenn welche ertönen, sind sie sehr klar wahrnehmbar und präzise eingesetzt. Der Minimalismus beim Schnitt produziert eine permanente Sogwirkung und treibt den Ego-Blick, den die Kamera im Slasher-Kino auf die Situationen wirft, auf die Spitze. John Kirby läuft nach seiner endgültigen Transformation in ein Ungeheuer – und damit unterscheidet er sich gravierend von Michael Myers, dem das Ungeheuerliche inhärent ist – in einem Overall herum, der die Gleichförmigkeit seiner Figur als Identitätsloser unterstreicht. Das Ganze kulminiert dann in der Musik, die den Minimalismus Carpenters eindringlicher Kompositionen regelrecht zu zitieren scheint. Weiterhin möchte ich noch zwei weitere Punkte verbinden, die von Funk erwähnt wurden. Der Aspekt des „Stummen“ bzw. des „Silent“ und der Physis Kirbys, die eine Externalisierung seiner „Wut“ oder eben „Rage“ darstellt. Denn schon der Originaltitel spielt auf den zentralen Punkt der Disposition Kirbys an: Wut ist eine der sieben Basisemotionen wie Paul Ekman sie definiert hat und kann in ihrer Funktion als einer der adaptiven Ur-Motoren für menschliches Verhalten gesehen werden. Würde man sie in ihrer Reinform extrahieren, wäre sie entfernt von jeglichem adaptivem Effekt und würde innerhalb eines sozialen Gefüges einzig destruktiv wirken. So bei Kirby, dessen Ausbruch reine, unkontrollierte Wut ist, die nur kurzzeitig befriedigt werden kann. Kirbys zufriedenes, geradezu infantil erfreutes Gesicht macht dies deutlich, wenn er es endlich geschafft hat seine Nachbarin mit der Axt zum Schweigen zu bringen. Nach kurzem Innehalten macht er sich dann ans weitere Mordwerk, welches Sheriff Stevens nur unter größten Mühen unterbinden kann. Die reine, ungebremste Wut – ein einziger destruktiver Energiestrahl – schenkt Kirby sogar so viel Kraft, dass er Handschellen zerreißen und Autotüren mit den Füßen regelrecht wegsprengen kann. Die an ihm durchgeführten Experimente, die höhere Gehirnfunktionen zerstören, scheinen eben dieses auf das Kleinhirn fokussierte Verhalten zu begünstigen. So erfährt die „stumme Wut“ eine Dopplung, da sie für gewöhnlich nur in uns schlummert, Kirby sie aber auch nach Außen lebt. Doch, um diesen Bogen auch noch zu spannen, ist Stevens von einer ähnlichen Ur-Kraft erfüllt. Im Gegensatz zum Amok laufenden Kirby hat er diese allerdings kanalisiert, was sich in seiner perfekt beherrschbaren Kampftechnik äußert, mit der er eine ganze Rockerbande „aufmischen“ kann.
STEFAN: Die Wut als reine Emotion zu figurieren ist in der Tat eine der herausragenden Leistungen des Films. Damit wird die Dichotomie der gegeneinander kämpfenden Seiten nicht nur besonders deutlich (auf der Seite Dans, Charlies und Alisons steht ja eher ein Emotionsmix – vor allem aber Unsicherheit über den eigenen emotionalen Haushalt), die Konfrontation der (unnatürlichen) reinen Emotion mit der (sehr menschlichen) gemischten, zeigt auch, wie „anders“ Kirby ist. Und dennoch will ich mich der Analyse des Außenseiters nicht vollständig anschließen, denn da ist immer noch eine sehr tiefe Tragik in der Darstellung des Mörders. Die wird, wie ich oben schon geschrieben habe, nicht nur durch seine prinzipielle Unschuldigkeit, sondern vor allem auch durch den stets leidvollen Gesichtsausdruck der Figur deutlich. Insofern ist der Kampf, den Dan gegen den Killer anstrengt, für mich auch wesentlich ambivalenter, als er oft in Slasher-Filmen dargestellt wird. Wen Dan hier am Ende ins Jenseits befördert (bzw. um mal einer ganz kruden psychoanalytischen Topik, die bei der Konzeption solcher Drehbücher aber immer eine Rolle gespielt hat, das Wort zu reden: zurück ins „Unterbewusstsein“ kickt), ist gar nicht so klar. Er selbst, das hatten wir ja schon festgestellt, ist komplexer gezeichnet als Chuck-Norris-Figuren es zumeist sind. Er ist kein Stellvertreter des unbedingt „Guten“, sondern eher ein „Normopath“; Sein Kampf gegen Kirby – so könnte man interpretieren – ist auch ein Kampf gegen seine eigenen Aggressionen, die sich in „Das stumme Ungeheuer“ ja stets urplötzlich entladen und total sind (weder die Frau noch der Wirt der Kneipe scheinen von Dan ja verschont zu werden). Eine derartige Lektüre der Filmcharaktere als Archetypen emotionaler Zustände ist natürlich naheliegend, damit operiert jeder halbwegs intelligente Serienmörderfilm: Der Ermittler kämpft immer auch gegen etwas in sich selbst; der Serienmörder ist die sichtbar geworden Abspaltung dessen. Das ist ein Topos, der sich im Film noir entwickelt hat.
Ich möchte aber noch einmal auf eine von den von Funkhundd erwähnten Türszenen zu sprechen kommen, weil mir diese einerseits besonders am Herzen liegen und andererseits, weil ich diese spezielle Szene erst beim erneuten Gucken in ihrer unglaublichen Affektivität wiederentdeckt habe: Ungefähr bei Minute 59 (ich beziehe mich auf die deutsche VHS), nachdem Kirby den Arzt ermordet hat und dessen Frau auf den Dachboden geflohen ist, versteckt sich Kirby hinter der offenen Tür zu diesem Dachboden. Als die Frau meint, die Luft sei rein und den Dachboden verlässt, wird sie von Kirby erwischt, als dieser die Dachbodentür schließt. Er greift der Frau von hinten ins Gesicht und schleudert sie mit voller Wucht mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Die Inszenierung dieses Mordes ist unglaublich intensiv. Die Kamera fährt in derselben Geschwindigkeit, wie Kirby ihren Schädel gegen die Wand schmettert, hinterher. Interessant scheint mir nun einerseits, dass das Böse hier nicht mehr hinter einer verschlossenen, sondern hinter einer offenen Tür lauert und andererseits, dass wir in den Rollen des Opfers, des Zuschauers und des Täters gleichzeitig stecken: Wir wissen zuerst nicht, dass Kirby hinter der Tür steht und werden zusammen mit der Frau von ihm überfallen, als er die Tür schließt, bekommen wir ihn zu sehen, während die Frau ihn nicht sieht – unsere Beteiligung wird vom geschockten Opfer zum Mitwisser verlagert. Als Kirby sie dann gegen die Wand schlägt und der Kamerablick im selben Tempo folgt, werden wir schließlich zum Mittäter: Unser Blick presst sozusagen noch nach. Habt ihr die Szene in Erinnerung? Wie hat die auf euch gewirkt?
FH: Ja, diese Szene hat auch bei mir eine ziemlich starke Wirkung hinterlassen. Meiner Meinung nach ist das tatsächlich die beste Tür-Szene des Films: zum einen wegen ihrer enormen filmischen Präzision, in der dort der Schock (der Killer, der plötzlich hinter der offenen Tür zum Vorschein kommt) und die „Auflösung“ (das Opfer wird ermordet) in einem Bruchteil von Sekunden ineinanderfließen, zum anderen, weil dort eine clevere Umdeutung des Tür-Bildes vorgenommen wird, wie Stefan ja schon erwähnt hat. Da wird äußerst geschickt mit der Erwartungshaltung des Zuschauers gespielt, der sich schon in Sicherheit wiegt, nachdem die Türschwelle übertreten wurde. Ich möchte aber gern auch noch etwas zur tragischen Gestaltung Kirbys sagen. Auch ich habe ihn so empfunden. Er ist ja gleich in zweierlei Hinsicht ein Gefangener im eigenen Körper: Schon zu Beginn, wenn er seinem Doktor am Telefon um Hilfe anfleht und sagt „I’m losing it“ – eine Formulierung, die den Nagel auf den Kopf trifft – und förmlich in einem Stadium der Wut einfriert, verliert Kirby den Kampf gegen die in ihm aufwallenden Emotionen – noch ist er aber „nur“ ein Kranker mit einer zumindest hypothetischen Chance auf Heilung. Sein Zustand wird aber von den Wissenschaftlern noch einmal konserviert und dramatisiert, indem sie es ihm unmöglich machen zu sterben. Kirby ist gezwungen im Zustand der äußersten unkontrollierbaren Wut zu verharren. In dieser Eigenschaft hat er eine Menge mit den Untoten des gesellschaftskritischen Zombiekinos eines Romero gemein. Vor diesem Hintergrund erscheint Kirbys telefonischer Hilferuf zu Beginn geradezu als Äquivalent zur Bitte des Infizierten, ihn mit einem Kopfschuss zu erlösen. Deswegen ist auch das für jeden Genrekenner eigentlich vorhersehbare und wenig originelle shock ending so effektiv: nicht weil der von Kirby ausgehende Terror sich fortsetzen und weitere Opfer finden wird, sondern weil es für diese Figur keine Erlösung gibt. Die Deutung des Brunnens als „Unterbewusstes“, in das das Böse verdrängt wird, mag durchaus vulgärpsychologisch sein. Aber das passt ja auch wieder ganz gut zu diesem Film. Kirby wird auf jeden Fall in seinem Brunnenschacht lauern, bis sich für ihn eine Möglichkeit ergibt, wieder hervorzubrechen ... Wenn man Dan und Kirby als Spiegelfiguren begreift, wie Stefan das vorschlägt, so muss man unbedingt auch den tumben Charlie in diese Rechnung aufnehmen. Auch der ist ja ein Verwandter Kirbys und mit dem Gemüt und Intellekt eines Kleinkindes ausgestattet, das in einem adipösen Leib beheimatet ist. Dass dieser Minderbemittelte zum Hilfssheriff werden konnte, wird jedoch keineswegs zu Comic-Relief-Zwecken ausgeschlachtet, sondern entwickelt ebenfalls höchstens eine tragikomische Note.
A: Absolut! Gerade die von naiver Brutalität erfüllte Geschichte des Deputys und Stevens lakonisches Lächeln lassen die überall schwellende Aggression spüren. Die Tragik Kirbys hingegen ist ja gerade bzw. muss ein essenzieller Bestandteil der figurierten Emotion sein. Nur ein menschliches Wesen ist in der Lage, solcherlei Gefühle zu erwecken und ebenso im Umkehrschluss sie selbst zu empfinden. Da es sich bei der von Kirby empfundenen Wut um eine Emotion handelt, die den reflexiven Selbstbezug benötigt, um überhaupt als solche deklariert werden zu können, muss Kirby Mensch sein. Er ist den Prozessen in seinem Inneren ausgeliefert, wie während des Telefonats deutlich wird, und kann sie durch exogene Medikamentierung nicht länger unterdrücken. Allein dieser Versuch, die destruktive Wut unterdrücken zu wollen, um sich und andere zu schützen, muss Sympathien wecken bzw. Mitleid für Kirby empfinden lassen. Bei einer Figur wie Jason Vorhees wäre dies undenkbar. Weiterhin versteht sich Wut als Basisemotion nicht nur als die empfundene Emotion, sondern vielmehr als genetische Determinante eines über Jahrtausende entstandenen Selektionsprozesses, die von allen Basisemotionen neben der Furcht die höchste Überlebenschance bietet. Wird Wut als Emotion aktiviert, übernehmen automatisch die zerebral niederen kognitiven Systeme die Funktionen des Körpers, Adrenalin und Noradrenalin werden verstärkt ausgeschüttet, der Körper wird schmerzunempfindlicher, es kann mehr Kraft mobilisiert werden, das logische Denken ist vermindert. Und hier liegt nun die größte Furcht: der Kontrollverlust, brillant von Libby zu Beginn in seinem Mienenspiel widergegeben. Wenn dies geschieht, übernehmen Mechanismen aus der Urzeit die Führung, was zu Verhaltenweisen führen kann, zu denen unsere Persönlichkeit keinen Bezug aufbauen kann, da sie sich in der Regel unserem Bewusstsein entziehen. Hier haben wir nun einen tatsächlich greifbaren Brückenschlag, für die bei Filmanalysen oft verwaschene Interpretation vom Unbewussten, denn wenn wir keinen freien Willen mehr haben und die einfacheren, genetisch festgelegten Determinanten die Kontrolle haben, kommt es zu einem Rücksturz ins archaisch Animalische. Die „Bestie Mensch“, der Fall in den Urschlamm, dem wir entstammen. Dies treibt die Tragik Kirbys dann auf die Spitze, wenn er als Affe mit Menschengesicht zu sehen ist. Als er Stevens Freundin im Zimmer seines Erschaffers in die Ecke drängt – der Wissenschaftler liegt als symbolischer Vater Kirbys tot zwischen beiden – grinst er mit einer Mischung aus Lüsternheit und Dümmlichkeit und bewegt sich wie ein Schimpanse bei Paarungsriten auf sie zu. Wie Funk schon meinte, verharrt Kirby durch die Experimente der Wissenschaftler, von außen abgestumpft und emotionslos erscheinend, im Zustand der Wut, die ihn, ganz im evolutionären Sinne, töten lassen muss, um zu Überleben. Doch der Sexualtrieb, noch substruktureller als die Basisemotion Wut, schafft dies bei Stevens Freundin außer Kraft zu setzen. Kirby möchte sie ganz offensichtlich begatten. Dem muss von Seiten Stevens Einhalt geboten werden. Stevens und Kirby, was Stefan schon meinte, trennt nicht viel außer der hauchdünnen Trennlinie, die das Mäntelchen Zivilisation anbietet. Stevens hat adäquate Möglichkeiten gefunden, seine Wut nicht nur zu kanalisieren, sondern auch für sich und andere nutzbar zu machen. Er übt einen Beruf aus, der automatisch zu Gewalt führen muss, bzw. Bestandteil der Arbeit ist, er beherrscht hervorragend eine Kampftechnik, die zu den größten Errungenschaften einer asiatischen Hochkultur zählt, er hat sexuelle Ausstrahlungskraft und die lang gefilmte Liebesszene zwischen seiner Freundin und ihm macht deutlich, dass er seinen Trieb sowohl ausgiebig befriedigen kann und dabei sogar noch positiv für seine Partnerin ist. Stevens hat seine Wut in den Dienst der Gesellschaft stellen können, womit er stereotyp für alle Hauptfiguren des Männerfilms wird. (man versuchte Norris bis McQUADE – DER WOLF ja auch noch als Liebhaber aufzubauen, was aber nach MISSING IN ACTION eingestellt wurde) Das Türenmotiv funktioniert als Symbol für die unterdrückende Zivilisation. Die Tür, eine Erfindung der Zivilisation und in ihrer rechtwinkligen Konzeption, ihrem Schließmechanismus und ihrer passgenauen Form äußerst unnatürlich, versucht draußen, oder eben eher drinnen zu behalten, was nicht rauskommen darf und wovor der Mensch die größte Angst hat. Ein Verlust von Kontrolle und ein Rückfall in archaische Determinationskonzepte, doch hinter jeder Tür, egal wie viele wir noch dazwischen glaubten, oder hinter uns geschlossen hatten, kann es uns einholen. Die Angst vor dem ES, dem Unbewussten oder wie man es auch immer nennen möchte, erhält hier plötzlich etwas ganz Konkretes. Mit ähnlicher Geschwindigkeit wie das Zentralnervensystem die Wut entstehen lässt, wogegen komplexes rationales Denken im Sekundenbereich geradezu langsam wirkt, rasen wir mit der Kamera und dem Kopf des weiblichen Mordopfers auf die Wand zu. Eine Verdrängung Kirbys kann somit nicht durch eine herkömmliche Tür erfolgen, sondern er muss auch im wörtlichen Sinne in die tiefsten Tiefen verbannt werden. Die Ausführungen zur Basisemotion machen deutlich, dass es sich damit keinesfalls um eine nur „vulgärpsychologische“, leider auch viel zu häufig bemühte, Metapher handelt, sondern um den verzweifelten Versuch des Menschen an sich, seine ihm unliebsamen Emotionen und die mit ihnen einhergehenden Konsequenzen zu unterdrücken. Dies geht folgerichtig nie lange gut.
STEFAN: Deine kulturhistorische, anthropologische Deutung des Türmotivs ist überaus bestechend! (Ich muss direkt an einen Essay Peter Handkes über Türschwellen denken.) Ich nehme die beiden bislang von mir nur marginal berücksichtigten Figuren(gruppen) am Schluss doch noch einmal auf, weil Funkhundd sie in Erinnerung gerufen hat: der dicke Tollpatsch Charlie und die Mad Scientists. Man muss ja schon beinahe von einem logischen Bruch reden, wenn man mit denen konfrontiert wird: ein Hilfssherrif, der zu keiner Zeit die Lage richtig einschätzt und auch nicht das Zeug dazu hat, seinen Job auszuführen. Anstelle dessen regrediert er zum kleinen Jungen, ist oral fixiert (vom doppelten Hamburger bis hin zu dem Funk-Gespräch, wo er auch den ihm gezeigten Brüsten auf Liebe schließt) und bringt Dan ständig in präkere Situationen. Die Mad Scientists, deren genetisches Forschungslabor ebenfalls in dieser Kleinstadt situiert ist (!), sind im Prinzip sein Pendant – nur in einem anderen System: Er im Rechtssystem, sie im Wissenschaftssystem. Sie können die Konsequenzen ihres Handelns ebensowenig antizipieren, stellen sich ebenfalls außerhalb der ihnen durch ihren Beruf vorgegebenen moralischen Normen und werden schließlich ebenso Opfer ihrer Handlungen. Bezeichnend sind hier die beiden Sterbeszenen in der Klinik: Charlie stirbt, als er erkennt, was seine Aufgabe ist, ohne ihr gewachsen zu sein; Paul stirbt, als ihm klar wird, was seine Aufgabe gewesen wäre. Innerhalb einer strukturalistischen Interpretation der Kleinstadt als funktionalisierter Raum der Psychogenese und der Figuren als Archetypen für isolierte Charakterzüge stecken Charlie und die Wissenschaftler die Außengrenzen der Normalität ab. Ihr sterben restituiert die Ordnung und in der Mitte stehen – wie ich oben schon angedeutet habe – die beiden Achsen: Dan und Kirby als Antipoden, die zueinander finden müssen. Das ist eigentlich eine typische Monsterfilm-Struktur. DAS STUMME UNGEHEUER ist in dieser Hinsicht für mich ein ganz typischer Monsterfilm, der sehr souverän mit dem Motivinventar umzugehen weiß. Er ist jedoch keineswegs gewöhnlich – und das liegt an der Inszenierung, an den Darstellern und vor allem an dem konstruktiven Zusammentreffen verschiedenen Genreversatzstücke.
USA 1982
Regie: Michael Miller, Drehbuch: Joseph Fraley, Edward Di Lorenzo (uncredited), Kamera: Robert C. Jessup, Neil Roach, Musik: Peter Bernstein, Mark Goldenberg, Katie Sagal, Schnitt: Richard C. Meyer
Darsteller: Chuck Norris (Sheriff Dan Stevens), Ron Silver (Dr. Tom Halman), Steven Keats (Dr. Phillip Spires), Brian Libby (John Kirby), Toni Kalem (Alison Halman), William Finley (Dr. Paul Vaughn), Stephen Furst (Charlie)
Synopsis: Dem in psychiatrischer Behandlung befindlichen John Kirby brennen eines Tages die Sicherungen durch: In einem heftigen Amoklauf bringt er seine Vermieterin und einen Nachbarn um und kann nur durch mehrere Schüsse gestoppt werden, als er sich der Verhaftung durch Sheriff Stevens widersetzt. Anstatt den Gehirntoten so einfach sterben zu lassen, benutzen ihn die Ärzte Halman, Spires und Vaughn für ein Experiment: Sie injizieren ihm ein Mittel, dass seine Selbstheilungskräfte immens beschleunigt und potenziert. Leider geht dieser Schuss nach hinten los, denn nun sieht sich das kleine Städtchen einer unverwundbaren Killermaschine gegenüber ...
FUNKHUNDD: DAS STUMME UNGEHEUER bildet einen idealen Übergang vom zuletzt besprochenen RETALIATOR zu unserem neuen Serienkiller-Block. Auch hier greift die Wissenschaft in Prozesse ein, die sie nichts angehen, ignoriert und überschreitet jegliche bestehende Moral und kreiert so letztlich ein Monster, über das sie keine Kontrolle mehr hat. DAS STUMME UNGEHEUER ist leider massiv unterschätzt und etwas in Vergessenheit geraten. Wohl auch, weil es sich bei Millers Film nicht um einen Actionfilm im eigentlichen Sinne handelt. Man merkt DAS STUMME UNGEHEUER dann auch deutlich an, dass die Macher einige Probleme damit hatten, Norris’ Filmpersona in diesen Stoff zu integrieren, denn die wenigen klassischen Norris-Szenen, wie die saftige Kneipenschlägerei mit einer Rockergang, haben nur wenig Bindung zum restlichen Geschehen. Es überwiegt ganz klar der Horroranteil, der dem Film dann auch seine wirklich herausragenden Momente beschert und ihm einen kleinen Sonderstatus im hier besprochenen „Männerkino“ einräumt.
DER AUSSENSEITER: Der Film eignet sich auch deshalb in der Folge zu RETALIATOR, weil in Millers Film die wissenschaftlichen Aspekte reine Staffage sind, um vor deren Hintergrund wieder die üblichen Fragen über Moral und Ethik eines solchen Tuns aufzuwerfen. Von der Nüchternheit des zuvor besprochenen Filmes ist hier nichts zu merken, vielmehr geht es, wertfrei gemeint, um das spekulative Ausbeuten der Angst vor einer ihr Handeln nicht abschätzenden Wissenschaft und die Sünde, die dieses Sich-an-der-Natur-Vergehen bedeutet. Die Dispute der opponierenden Wissenschaftler erscheinen daher auch weniger präzise als mehr wie Geschwafel. Es ist doch stärker ein Gefühlsfilm, auch wenn er sich sehr kalt und unnahbar gibt. Wenn wir beim äußeren Gerüst anfangen, lässt sich erkennen, dass DAS STUMME UNGEHEUER eine bunte Mischung aus Straßenwestern mit Hillbilly-Elementen, Horror- und Science-Fiction-Film mit Mad-Scientist-Bezug sowie Kampfsportfilm darstellt. Allerdings kann man ihn aufgrund der narrativ nicht ineinander laufenden Genrebezüge eher als Genrebastard, denn als wirklich funktionierenden Genrehybrid bezeichnen. Ähnlich dem tautologischen Prinzip endet der Film mit seinem Anfang: der Konfrontation zwischen Sheriff Stevens und dem Killer John Kirby. Dazwischen scheinen nahezu zwei voneinander getrennte Geschichten erzählt zu werden, die nur selten Berührungspunkte aufweisen.
STEFAN: Mich hat vor allem diese „Mischung“, von der der Außenseiter spricht, fasziniert. Die Erzählstränge aus Mad-Scientist-SF, Horror-/Slasher-Film und natürlich Martial Arts laufen bis zum Ende ja augenscheinlich vollständig nebeneinander her. Das Cross-Over, das der Film versucht zu sein – wohl auch um einige der populärsten Männerfilmmotive kassenträchtig zu machen –, bildet er aber auch in seiner Dramaturgie ab. Mir kam das beinahe schon wie eine subtile Form der Selbstreflexivität vor, dass die Sequenzen erst ziemlich pur einem Genre zuordenbar bleiben und sich gegen Ende immer mehr miteinander vermischen. DAS STUMME UNGEHEUER ist ein Film, der seine Genre-Hybridität in sich selbst noch einmal abbildet: Da bewegen sich Kino-Welten aufeinander zu. Von daher hat mir der dezente Einsatz vor allem der Chuck-Norris-Action sogar sehr gut gefallen. Ich kann mich an keinen Norris-Film erinnern, in dem er so wenig Action, aber so viel emotionale und sogar Liebes- und Sexszenen hatte. Es ist ja nicht so, dass er das nicht darstellen könnte. Das sieht man ja sehr deutlich. Auch wenn sein Mienenspiel – etwa in der Szene, als er seinen sterbenden Buddy entdeckt – nicht gerade facettenreich ist: Man kauft es ihm doch ab. Und dieser „konstruktivistische Anfall“ seiner Freundin, die nach der Liebesnacht sofort wieder an der Möglichkeit einer Beziehung mit ihm zweifelt. Da reagiert er sowas von souverän! Aber reden wir nicht von der Liebe und Verständnis, hier geht es um Mord und Wahnsinn, oder?
FH: Schön, dass der Kelch bei „Mord und Wahnsinn“ sofort an mich weitergereicht wird! Diese beiden schönen Aspekte des menschlichen Daseins werden schon in der Auftaktsequenz, die bereits mit den Credits einsetzt und mehrere Minuten lang ohne Schnitt auskommt, ausgelotet. Die bedrohliche Stimmung dieser Sequenz trägt den Film dann auch über den eher harmlosen Romantik-Subplot und die Kickbox-Action, auf die ihr eben eingegangen seid. Der Film beginnt mit dem Blick auf eine Art Kirchenfenster, neben dem die Credits auf schwarzem Hintergrund platziert sind. Mit Ende der Credits wird zunächst diese schwarze Maske entfernt und gibt den Blick auf eine schmucklose Wand frei, dann schwenkt die Kamera nach unten und zeigt uns einen karg eingerichteten, schummrigen Raum, in dem John Kirby schwitzend und um Fassung ringend auf dem Bett liegt. Miller spielt in der Folge zusammen mit seinem Kameramann sehr häufig mit einer solchen Veränderung des Raums: Da eröffnen sich ständig neue Perspektiven, wird die Aufmerksamkeit vom Bildvorder- auf den Bildhintergrund verschoben. So etwa auch im Anschluss, wenn Kirby, den das Geschrei spielender Kinder in den Wahnsinn treibt und der selbst merkt, wie er die Kontrolle verliert, aus dem Haus in den Garten geht, um eine Axt zu holen, und die Kamera bei seiner Vermieterin im Hausinneren bleibt. Wir sehen das drohende Unheil im Hintergrund durch ein Fenster, während es für die Protagonisten zunächst unsichtbar bleibt. Diese subtile Bildgestaltung und -dramaturgie bleibt beinahe ausschließlich den Szenen um Kirby vorbehalten, während der Strang um Chuck Norris/Dan Stevens auch aus einer damals populären Fernsehserie wie KNIGHT RIDER stammen könnte.
A: Das vermeintliche Kirchenfenster zu Beginn führt mich jedes Mal in die Irre und greift der Stimmung des Filmes voraus. Es geht, wie bereits angedeutet, eben nicht um eine analytische Auseinandersetzung mit der Frage, ob Menschen den genetischen Code manipulieren dürfen, sondern mehr um eine religiös-metaphysische Ebene. Nachdem uns die Kamera die Auflösung schenkt, befinden wir uns nicht in einem, durch das farbige Fenster und die unheilschwangere Synthiemusik suggeriert, Zimmer der Geistlichkeit, sondern im Zimmer eines Geistlosen, der lediglich wirr zusammengestellte Zeitungsausschnitte und ominöse Fotografien an seiner Wand hat und sich wie im Fieberwahn hin und her wälzt. Es fällt bereits in den ersten Minuten auf, dass die Dissoziationen des Filmes sich von Anfang an wie ein roter Faden durch selbigen ziehen. Nicht nur im Hinblick auf die später erkennbaren Genreüberlappungen, sondern auf nahezu allen filmischen Ebenen. Die Gestaltung von Kirbys Zimmer hat etwas Sakrales, aber nein, wir befinden uns nur in einer Absteige irgendwo im mittleren Südwesten, die Tonspur versorgt uns mit permanentem Maschinengewehrsalven, die technisch sehr überzeugend klingen, doch das Geschreie der Kinder macht deutlich, dass es sich nur um ein Kriegsspiel handeln muss. Kirby wird von einem der Kinder ans Telefon gebeten, doch der Zuschauer muss sich erstmal klar machen, dass es sich nicht um Kirbys Eigenheim handelt und er in diesem Hause, das einen familiären Eindruck macht, ein Fremdorganismus ist. Der Grund, warum dies alles vom Zuschauer erstmal entschlüsselt werden muss, liegt in der von Funk schon erwähnten Kameraführung. Die Kamera, die in ihrer Raumerfassung dem menschlichen peripheren Blick ähnelt, weswegen ein Achsensprung befremdlich wirkt, da der Mensch am Hinterkopf keine Augen hat, gewährt uns nur so viel wie wir selbst als Mensch in diesen Räumlichkeiten wahrnehmen könnten. Somit sind wir ihrem suggestiven Blick ausgeliefert wie Kirby seinem Irrsinn ausgeliefert erscheint und können uns nicht in eine gesicherte Position begeben. Eine Distanz wird erstmalig aufgebaut als Sheriff Stevens eintrifft und Norris aus der Untersicht gefilmt geradezu majestätisch den Tatort betritt.
STEFAN: Ja, die Exposition ist exzellent. Nicht nur wird die Eskalation der Bedrohung hier für den Zuschauer regelrecht körperlich nachvollziehbar, auch ist das Irrewerden Kirbys erstaunlich prägnant inszeniert. Das kurze Telefonat mit seinem Arzt, die Großaufnahmen seines schwitzenden, angstverzerrten Gesichts und dann der Absturz in eine Art Apathie. Und das vermittelt alles die Kamera. Überhaupt sucht die Kamerarbeit des Films ihresgleichen. Das merkt man an etlichen Szenen. Da war für mich die Schockszene, als Kirby aus dem Hintergrund mit der Axt ins Haus geht (gefilmt durch das Küchenfenster, während im Vordergrund die Mutter mit den Kindern oder irgendjemandem spricht) und dann seine zielstrebige Verfolgung, die vor der Badezimmertür endet. Wie Kirby die Tür hier mit der Axt öffnet und dann durch den Riss schaut, das zitiert natürlich SHINING, aber kurz vorher gibt es eine ganz kurze Szene, in der der Wahnsinn des Täters für mich noch viel besser filmisiert ist: Der Typ mit dem Unterhemd drischt Kirby einen Stuhl auf den Rücken, dieser hält nur kurz in seiner Türöffnung inne, dreht sich, schlägt dem Angreifer die Axt in die Stirn und macht sich sofort wieder ans Aufhacken der Tür. Ich glaube, eine so knappe Exposition psychischer (Zer)Störung habe ich seit jener legendären Tür-Szene in THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (Leatherface erschlägt einen der Teenager mit einem Hammer, zerrt ihn in seinen Schlachtraum und reißt die Metallschiebetür zu – knapp 5 Sekunden Montagestakkato) nicht gesehen. DAS STUMME UNGEHEUER scheint auf den ersten Blick mit dieser Exposition zu jener Sorte Serienmörderfilmen zu gehören, in der keinerlei Empathie für den Täter gestiftet wird, in der die Pathologie nur kurz angerissen und dann mit der Bekämpfung begonnen wird – hierin wie in vielem ist er Carpenters HALLOWEEN recht ähnlich. Das stimmt aber nur halb, denn Kirby ist eine überaus tragische Person. Nicht nur ist er nicht selbst schuld an seinem Amoklauf, auch wird er ja im Verlauf der Handlung immer mehr zum Instrument der Mad Scientists. Dass sich die Figur ständig auf der Linie zwischen den (bösen) Killern des Slasherfilms und den (kranken) Mördern des eher empathischen Serienmörderfilms bewegt, liegt an der Mimik von Brian Libby (den ich übrigens in Stephen Kings NIGHTSHIFT COLLECTION kennen gelernt habe).
FH: Dieser Axtmord, den Stefan anspricht, ist auch deshalb so beeindruckend, weil er so beiläufig passiert und ganz ohne brachiale Gewalt und Overacting in Szene gesetzt ist. Kirby entledigt sich des Mannes so, wie er sich einer lästigen Fliege entledigen würde, mit einer kurzen, präzisen und somit ungemein pragmatischen Bewegung. Das verleiht der Szene einen immensen Realismus. Es wird nicht nur verdeutlicht wie stark dieser Kirby in seinem Wahn ist, sondern auch mit welcher Emotionslosigkeit er agiert. Das „stumm“ bzw. „silent“ aus dem Titel erscheint mir da durchaus ambivalent: Nicht nur sagt Kirby nach dem Telefonat zu Beginn kein einziges Wort mehr, auch IN ihm spricht nichts mehr. Er ist die jeglicher menschlicher Regung, aber auch jeder Vernunft beraubte Maschine. Der moralisch-religiöse Diskurs dominiert somit nicht nur den Handlungsstrang um die Wissenschaftler und ihre Experimente, stellt die üblichen Fragen nach ihrer Verantwortung und die Grenzen menschlicher Hybris, sondern setzt sich auch in der Zeichnung des „Ungeheuers“ als das Andere, Dunkle fort. Die zahlreichen Tür-Szenen sowie das Finale am Brunnenschacht lassen sich sehr durchgehend als Metapher dafür lesen. Kirby wird als das, was „dahinter“, „im Verborgenen“ lauert, gezeichnet. Und entledigen kann man sich seiner, indem man ihn tief in der Dunkelheit vergräbt, einem Brunnen – wo er aber nur zeitweise entsorgt ist und jederzeit wieder auftauchen kann wie die Schlusseinstellung klar macht. Für diese Interpretation spricht auch die Darstellung Kirbys als Durchschnittstyp. Zwar bringt auch er eine recht beeindruckende Physis mit, mit den maskierten Kampfzombies des Slasherkinos hat er dennoch nur wenig gemein. Auch seine psychische Disposition, die ihn erst umkippen lässt, wird nicht weiter spezifiziert: Sie könnte jeden treffen.
A: Kann mich euren Ausführungen nur anschließen und führe sie noch in meinem Sinne weiter. Der Axtmord macht buchstäblich auf einen Schlag deutlich, in was für einer Realitätskonstruktion wir uns befinden. Hier gibt es keine unrealistischen Splatterszenarien. Der Nachbar bekommt die Axt kurz in den Schädel gerammt, dreht sich noch mit einem zerstörten Gesicht zur Kamera und bricht dann unspektakulär zusammen. Dies verleiht dem Film eine ungewöhnliche, weil authentische Härte und nicht zuletzt durch solch trockene Elemente erweckt der Film den Eindruck eines Kammerspiels. Die von Stefan ins Feld geführte Verbindung zu Carpenter lässt sich zumindest soweit knüpfen, dass Miller den Zuschauer mit einem ähnlichen Minimalismus versorgt. Die Tonspur arbeitet relativ geräuscharm, doch wenn welche ertönen, sind sie sehr klar wahrnehmbar und präzise eingesetzt. Der Minimalismus beim Schnitt produziert eine permanente Sogwirkung und treibt den Ego-Blick, den die Kamera im Slasher-Kino auf die Situationen wirft, auf die Spitze. John Kirby läuft nach seiner endgültigen Transformation in ein Ungeheuer – und damit unterscheidet er sich gravierend von Michael Myers, dem das Ungeheuerliche inhärent ist – in einem Overall herum, der die Gleichförmigkeit seiner Figur als Identitätsloser unterstreicht. Das Ganze kulminiert dann in der Musik, die den Minimalismus Carpenters eindringlicher Kompositionen regelrecht zu zitieren scheint. Weiterhin möchte ich noch zwei weitere Punkte verbinden, die von Funk erwähnt wurden. Der Aspekt des „Stummen“ bzw. des „Silent“ und der Physis Kirbys, die eine Externalisierung seiner „Wut“ oder eben „Rage“ darstellt. Denn schon der Originaltitel spielt auf den zentralen Punkt der Disposition Kirbys an: Wut ist eine der sieben Basisemotionen wie Paul Ekman sie definiert hat und kann in ihrer Funktion als einer der adaptiven Ur-Motoren für menschliches Verhalten gesehen werden. Würde man sie in ihrer Reinform extrahieren, wäre sie entfernt von jeglichem adaptivem Effekt und würde innerhalb eines sozialen Gefüges einzig destruktiv wirken. So bei Kirby, dessen Ausbruch reine, unkontrollierte Wut ist, die nur kurzzeitig befriedigt werden kann. Kirbys zufriedenes, geradezu infantil erfreutes Gesicht macht dies deutlich, wenn er es endlich geschafft hat seine Nachbarin mit der Axt zum Schweigen zu bringen. Nach kurzem Innehalten macht er sich dann ans weitere Mordwerk, welches Sheriff Stevens nur unter größten Mühen unterbinden kann. Die reine, ungebremste Wut – ein einziger destruktiver Energiestrahl – schenkt Kirby sogar so viel Kraft, dass er Handschellen zerreißen und Autotüren mit den Füßen regelrecht wegsprengen kann. Die an ihm durchgeführten Experimente, die höhere Gehirnfunktionen zerstören, scheinen eben dieses auf das Kleinhirn fokussierte Verhalten zu begünstigen. So erfährt die „stumme Wut“ eine Dopplung, da sie für gewöhnlich nur in uns schlummert, Kirby sie aber auch nach Außen lebt. Doch, um diesen Bogen auch noch zu spannen, ist Stevens von einer ähnlichen Ur-Kraft erfüllt. Im Gegensatz zum Amok laufenden Kirby hat er diese allerdings kanalisiert, was sich in seiner perfekt beherrschbaren Kampftechnik äußert, mit der er eine ganze Rockerbande „aufmischen“ kann.
STEFAN: Die Wut als reine Emotion zu figurieren ist in der Tat eine der herausragenden Leistungen des Films. Damit wird die Dichotomie der gegeneinander kämpfenden Seiten nicht nur besonders deutlich (auf der Seite Dans, Charlies und Alisons steht ja eher ein Emotionsmix – vor allem aber Unsicherheit über den eigenen emotionalen Haushalt), die Konfrontation der (unnatürlichen) reinen Emotion mit der (sehr menschlichen) gemischten, zeigt auch, wie „anders“ Kirby ist. Und dennoch will ich mich der Analyse des Außenseiters nicht vollständig anschließen, denn da ist immer noch eine sehr tiefe Tragik in der Darstellung des Mörders. Die wird, wie ich oben schon geschrieben habe, nicht nur durch seine prinzipielle Unschuldigkeit, sondern vor allem auch durch den stets leidvollen Gesichtsausdruck der Figur deutlich. Insofern ist der Kampf, den Dan gegen den Killer anstrengt, für mich auch wesentlich ambivalenter, als er oft in Slasher-Filmen dargestellt wird. Wen Dan hier am Ende ins Jenseits befördert (bzw. um mal einer ganz kruden psychoanalytischen Topik, die bei der Konzeption solcher Drehbücher aber immer eine Rolle gespielt hat, das Wort zu reden: zurück ins „Unterbewusstsein“ kickt), ist gar nicht so klar. Er selbst, das hatten wir ja schon festgestellt, ist komplexer gezeichnet als Chuck-Norris-Figuren es zumeist sind. Er ist kein Stellvertreter des unbedingt „Guten“, sondern eher ein „Normopath“; Sein Kampf gegen Kirby – so könnte man interpretieren – ist auch ein Kampf gegen seine eigenen Aggressionen, die sich in „Das stumme Ungeheuer“ ja stets urplötzlich entladen und total sind (weder die Frau noch der Wirt der Kneipe scheinen von Dan ja verschont zu werden). Eine derartige Lektüre der Filmcharaktere als Archetypen emotionaler Zustände ist natürlich naheliegend, damit operiert jeder halbwegs intelligente Serienmörderfilm: Der Ermittler kämpft immer auch gegen etwas in sich selbst; der Serienmörder ist die sichtbar geworden Abspaltung dessen. Das ist ein Topos, der sich im Film noir entwickelt hat.
Ich möchte aber noch einmal auf eine von den von Funkhundd erwähnten Türszenen zu sprechen kommen, weil mir diese einerseits besonders am Herzen liegen und andererseits, weil ich diese spezielle Szene erst beim erneuten Gucken in ihrer unglaublichen Affektivität wiederentdeckt habe: Ungefähr bei Minute 59 (ich beziehe mich auf die deutsche VHS), nachdem Kirby den Arzt ermordet hat und dessen Frau auf den Dachboden geflohen ist, versteckt sich Kirby hinter der offenen Tür zu diesem Dachboden. Als die Frau meint, die Luft sei rein und den Dachboden verlässt, wird sie von Kirby erwischt, als dieser die Dachbodentür schließt. Er greift der Frau von hinten ins Gesicht und schleudert sie mit voller Wucht mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Die Inszenierung dieses Mordes ist unglaublich intensiv. Die Kamera fährt in derselben Geschwindigkeit, wie Kirby ihren Schädel gegen die Wand schmettert, hinterher. Interessant scheint mir nun einerseits, dass das Böse hier nicht mehr hinter einer verschlossenen, sondern hinter einer offenen Tür lauert und andererseits, dass wir in den Rollen des Opfers, des Zuschauers und des Täters gleichzeitig stecken: Wir wissen zuerst nicht, dass Kirby hinter der Tür steht und werden zusammen mit der Frau von ihm überfallen, als er die Tür schließt, bekommen wir ihn zu sehen, während die Frau ihn nicht sieht – unsere Beteiligung wird vom geschockten Opfer zum Mitwisser verlagert. Als Kirby sie dann gegen die Wand schlägt und der Kamerablick im selben Tempo folgt, werden wir schließlich zum Mittäter: Unser Blick presst sozusagen noch nach. Habt ihr die Szene in Erinnerung? Wie hat die auf euch gewirkt?
FH: Ja, diese Szene hat auch bei mir eine ziemlich starke Wirkung hinterlassen. Meiner Meinung nach ist das tatsächlich die beste Tür-Szene des Films: zum einen wegen ihrer enormen filmischen Präzision, in der dort der Schock (der Killer, der plötzlich hinter der offenen Tür zum Vorschein kommt) und die „Auflösung“ (das Opfer wird ermordet) in einem Bruchteil von Sekunden ineinanderfließen, zum anderen, weil dort eine clevere Umdeutung des Tür-Bildes vorgenommen wird, wie Stefan ja schon erwähnt hat. Da wird äußerst geschickt mit der Erwartungshaltung des Zuschauers gespielt, der sich schon in Sicherheit wiegt, nachdem die Türschwelle übertreten wurde. Ich möchte aber gern auch noch etwas zur tragischen Gestaltung Kirbys sagen. Auch ich habe ihn so empfunden. Er ist ja gleich in zweierlei Hinsicht ein Gefangener im eigenen Körper: Schon zu Beginn, wenn er seinem Doktor am Telefon um Hilfe anfleht und sagt „I’m losing it“ – eine Formulierung, die den Nagel auf den Kopf trifft – und förmlich in einem Stadium der Wut einfriert, verliert Kirby den Kampf gegen die in ihm aufwallenden Emotionen – noch ist er aber „nur“ ein Kranker mit einer zumindest hypothetischen Chance auf Heilung. Sein Zustand wird aber von den Wissenschaftlern noch einmal konserviert und dramatisiert, indem sie es ihm unmöglich machen zu sterben. Kirby ist gezwungen im Zustand der äußersten unkontrollierbaren Wut zu verharren. In dieser Eigenschaft hat er eine Menge mit den Untoten des gesellschaftskritischen Zombiekinos eines Romero gemein. Vor diesem Hintergrund erscheint Kirbys telefonischer Hilferuf zu Beginn geradezu als Äquivalent zur Bitte des Infizierten, ihn mit einem Kopfschuss zu erlösen. Deswegen ist auch das für jeden Genrekenner eigentlich vorhersehbare und wenig originelle shock ending so effektiv: nicht weil der von Kirby ausgehende Terror sich fortsetzen und weitere Opfer finden wird, sondern weil es für diese Figur keine Erlösung gibt. Die Deutung des Brunnens als „Unterbewusstes“, in das das Böse verdrängt wird, mag durchaus vulgärpsychologisch sein. Aber das passt ja auch wieder ganz gut zu diesem Film. Kirby wird auf jeden Fall in seinem Brunnenschacht lauern, bis sich für ihn eine Möglichkeit ergibt, wieder hervorzubrechen ... Wenn man Dan und Kirby als Spiegelfiguren begreift, wie Stefan das vorschlägt, so muss man unbedingt auch den tumben Charlie in diese Rechnung aufnehmen. Auch der ist ja ein Verwandter Kirbys und mit dem Gemüt und Intellekt eines Kleinkindes ausgestattet, das in einem adipösen Leib beheimatet ist. Dass dieser Minderbemittelte zum Hilfssheriff werden konnte, wird jedoch keineswegs zu Comic-Relief-Zwecken ausgeschlachtet, sondern entwickelt ebenfalls höchstens eine tragikomische Note.
A: Absolut! Gerade die von naiver Brutalität erfüllte Geschichte des Deputys und Stevens lakonisches Lächeln lassen die überall schwellende Aggression spüren. Die Tragik Kirbys hingegen ist ja gerade bzw. muss ein essenzieller Bestandteil der figurierten Emotion sein. Nur ein menschliches Wesen ist in der Lage, solcherlei Gefühle zu erwecken und ebenso im Umkehrschluss sie selbst zu empfinden. Da es sich bei der von Kirby empfundenen Wut um eine Emotion handelt, die den reflexiven Selbstbezug benötigt, um überhaupt als solche deklariert werden zu können, muss Kirby Mensch sein. Er ist den Prozessen in seinem Inneren ausgeliefert, wie während des Telefonats deutlich wird, und kann sie durch exogene Medikamentierung nicht länger unterdrücken. Allein dieser Versuch, die destruktive Wut unterdrücken zu wollen, um sich und andere zu schützen, muss Sympathien wecken bzw. Mitleid für Kirby empfinden lassen. Bei einer Figur wie Jason Vorhees wäre dies undenkbar. Weiterhin versteht sich Wut als Basisemotion nicht nur als die empfundene Emotion, sondern vielmehr als genetische Determinante eines über Jahrtausende entstandenen Selektionsprozesses, die von allen Basisemotionen neben der Furcht die höchste Überlebenschance bietet. Wird Wut als Emotion aktiviert, übernehmen automatisch die zerebral niederen kognitiven Systeme die Funktionen des Körpers, Adrenalin und Noradrenalin werden verstärkt ausgeschüttet, der Körper wird schmerzunempfindlicher, es kann mehr Kraft mobilisiert werden, das logische Denken ist vermindert. Und hier liegt nun die größte Furcht: der Kontrollverlust, brillant von Libby zu Beginn in seinem Mienenspiel widergegeben. Wenn dies geschieht, übernehmen Mechanismen aus der Urzeit die Führung, was zu Verhaltenweisen führen kann, zu denen unsere Persönlichkeit keinen Bezug aufbauen kann, da sie sich in der Regel unserem Bewusstsein entziehen. Hier haben wir nun einen tatsächlich greifbaren Brückenschlag, für die bei Filmanalysen oft verwaschene Interpretation vom Unbewussten, denn wenn wir keinen freien Willen mehr haben und die einfacheren, genetisch festgelegten Determinanten die Kontrolle haben, kommt es zu einem Rücksturz ins archaisch Animalische. Die „Bestie Mensch“, der Fall in den Urschlamm, dem wir entstammen. Dies treibt die Tragik Kirbys dann auf die Spitze, wenn er als Affe mit Menschengesicht zu sehen ist. Als er Stevens Freundin im Zimmer seines Erschaffers in die Ecke drängt – der Wissenschaftler liegt als symbolischer Vater Kirbys tot zwischen beiden – grinst er mit einer Mischung aus Lüsternheit und Dümmlichkeit und bewegt sich wie ein Schimpanse bei Paarungsriten auf sie zu. Wie Funk schon meinte, verharrt Kirby durch die Experimente der Wissenschaftler, von außen abgestumpft und emotionslos erscheinend, im Zustand der Wut, die ihn, ganz im evolutionären Sinne, töten lassen muss, um zu Überleben. Doch der Sexualtrieb, noch substruktureller als die Basisemotion Wut, schafft dies bei Stevens Freundin außer Kraft zu setzen. Kirby möchte sie ganz offensichtlich begatten. Dem muss von Seiten Stevens Einhalt geboten werden. Stevens und Kirby, was Stefan schon meinte, trennt nicht viel außer der hauchdünnen Trennlinie, die das Mäntelchen Zivilisation anbietet. Stevens hat adäquate Möglichkeiten gefunden, seine Wut nicht nur zu kanalisieren, sondern auch für sich und andere nutzbar zu machen. Er übt einen Beruf aus, der automatisch zu Gewalt führen muss, bzw. Bestandteil der Arbeit ist, er beherrscht hervorragend eine Kampftechnik, die zu den größten Errungenschaften einer asiatischen Hochkultur zählt, er hat sexuelle Ausstrahlungskraft und die lang gefilmte Liebesszene zwischen seiner Freundin und ihm macht deutlich, dass er seinen Trieb sowohl ausgiebig befriedigen kann und dabei sogar noch positiv für seine Partnerin ist. Stevens hat seine Wut in den Dienst der Gesellschaft stellen können, womit er stereotyp für alle Hauptfiguren des Männerfilms wird. (man versuchte Norris bis McQUADE – DER WOLF ja auch noch als Liebhaber aufzubauen, was aber nach MISSING IN ACTION eingestellt wurde) Das Türenmotiv funktioniert als Symbol für die unterdrückende Zivilisation. Die Tür, eine Erfindung der Zivilisation und in ihrer rechtwinkligen Konzeption, ihrem Schließmechanismus und ihrer passgenauen Form äußerst unnatürlich, versucht draußen, oder eben eher drinnen zu behalten, was nicht rauskommen darf und wovor der Mensch die größte Angst hat. Ein Verlust von Kontrolle und ein Rückfall in archaische Determinationskonzepte, doch hinter jeder Tür, egal wie viele wir noch dazwischen glaubten, oder hinter uns geschlossen hatten, kann es uns einholen. Die Angst vor dem ES, dem Unbewussten oder wie man es auch immer nennen möchte, erhält hier plötzlich etwas ganz Konkretes. Mit ähnlicher Geschwindigkeit wie das Zentralnervensystem die Wut entstehen lässt, wogegen komplexes rationales Denken im Sekundenbereich geradezu langsam wirkt, rasen wir mit der Kamera und dem Kopf des weiblichen Mordopfers auf die Wand zu. Eine Verdrängung Kirbys kann somit nicht durch eine herkömmliche Tür erfolgen, sondern er muss auch im wörtlichen Sinne in die tiefsten Tiefen verbannt werden. Die Ausführungen zur Basisemotion machen deutlich, dass es sich damit keinesfalls um eine nur „vulgärpsychologische“, leider auch viel zu häufig bemühte, Metapher handelt, sondern um den verzweifelten Versuch des Menschen an sich, seine ihm unliebsamen Emotionen und die mit ihnen einhergehenden Konsequenzen zu unterdrücken. Dies geht folgerichtig nie lange gut.
STEFAN: Deine kulturhistorische, anthropologische Deutung des Türmotivs ist überaus bestechend! (Ich muss direkt an einen Essay Peter Handkes über Türschwellen denken.) Ich nehme die beiden bislang von mir nur marginal berücksichtigten Figuren(gruppen) am Schluss doch noch einmal auf, weil Funkhundd sie in Erinnerung gerufen hat: der dicke Tollpatsch Charlie und die Mad Scientists. Man muss ja schon beinahe von einem logischen Bruch reden, wenn man mit denen konfrontiert wird: ein Hilfssherrif, der zu keiner Zeit die Lage richtig einschätzt und auch nicht das Zeug dazu hat, seinen Job auszuführen. Anstelle dessen regrediert er zum kleinen Jungen, ist oral fixiert (vom doppelten Hamburger bis hin zu dem Funk-Gespräch, wo er auch den ihm gezeigten Brüsten auf Liebe schließt) und bringt Dan ständig in präkere Situationen. Die Mad Scientists, deren genetisches Forschungslabor ebenfalls in dieser Kleinstadt situiert ist (!), sind im Prinzip sein Pendant – nur in einem anderen System: Er im Rechtssystem, sie im Wissenschaftssystem. Sie können die Konsequenzen ihres Handelns ebensowenig antizipieren, stellen sich ebenfalls außerhalb der ihnen durch ihren Beruf vorgegebenen moralischen Normen und werden schließlich ebenso Opfer ihrer Handlungen. Bezeichnend sind hier die beiden Sterbeszenen in der Klinik: Charlie stirbt, als er erkennt, was seine Aufgabe ist, ohne ihr gewachsen zu sein; Paul stirbt, als ihm klar wird, was seine Aufgabe gewesen wäre. Innerhalb einer strukturalistischen Interpretation der Kleinstadt als funktionalisierter Raum der Psychogenese und der Figuren als Archetypen für isolierte Charakterzüge stecken Charlie und die Wissenschaftler die Außengrenzen der Normalität ab. Ihr sterben restituiert die Ordnung und in der Mitte stehen – wie ich oben schon angedeutet habe – die beiden Achsen: Dan und Kirby als Antipoden, die zueinander finden müssen. Das ist eigentlich eine typische Monsterfilm-Struktur. DAS STUMME UNGEHEUER ist in dieser Hinsicht für mich ein ganz typischer Monsterfilm, der sehr souverän mit dem Motivinventar umzugehen weiß. Er ist jedoch keineswegs gewöhnlich – und das liegt an der Inszenierung, an den Darstellern und vor allem an dem konstruktiven Zusammentreffen verschiedenen Genreversatzstücke.
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