Montag, Juni 05, 2006

Der Russe im Menschen

Red Scorpion (Red Scorpion)
Südafrika/USA/Namibia (1988)
Regie: Joseph Zito, Drehbuch: Jack Abramoff, Arnold Abramoff, Arne Olsen, Kamera: Joao Fernandez, Schnitt: Dan Loewenthal, Musik: Jay Chattaway, Darsteller: Dolph Lundgren (Nikolai), M. Emmet Walsh (Dewey Ferguson), Al White (Kallunda), T.P. McKenna (General Vortek), Brion James (Krasnov), Ruben Nthodi (Sundata)

Synopsis: Nikolai (Dolph Lundgren), sowjetischer Supersoldat der Spetnaz, erhält den Auftrag, den Rebellenführer Sundata zu töten, der das Volk eines afrikanischen Fantasiestaates in die Freiheit führen will. Doch das Attentat schlägt fehl. Von den eigenen Leuten gefoltert, gelingt Nikolai die Flucht in die Wüste, wo er durch einen Buschmann „Läuterung“ erfährt. Am Ende kehrt er zu den Rebellen zurück, um ihnen im Kampf gegen die Unterdrücker zu helfen.

DER AUSSENSEITER: Mann, mit dem hab’ ich mich immer ordentlich schwer getan. Irgendwie war der in meiner Jugend an mir vorbeigegangen. Erstmal lässt sich wohl sagen, dass der Film die Richtung vorgibt, in die sich der Actionfilm entwickelt hätte, wenn der „kalte Krieg“ die 1980er überlebt hätte. Es ist tatsächlich möglich, in einem amerikanisch mitproduzierten Actionfilm einen Sowjetsoldaten als Helden zu etablieren, sofern er bereit ist zu erkennen, dass das System, dem er dient, von Grund auf menschenverachtend ist. Die Verlagerung des Schauplatzes aus dem Dschungel in die afrikanische Steppe zeigt zusätzlich auf, wo die neuen Krisenherde liegen.

FUNKHUNDD: Und in seiner Verbindung unterschiedlicher Genrezutaten weist er den Weg für das kommende Actionkino: ein bisschen Buddy-Film, ein bisschen tumbe Komödie und eine Prise Abenteuerfilm und schon hat man den familienfreundlichen Mordfilm. Und es ist natürlich das Perfide an diesem Film, dass er suggeriert „Guckt mal hier, unser Held ist Russe, wir haben keine Vorurteile“, dieser Held jedoch seine „Russe-Sein“ erst komplett ablegen muss, bevor er tatsächlich zur Identifikationsfigur für Amis taugt.

A: Dolphi ist als Nikolai natürlich eine Idealbesetzung. Er erfüllt den Traum des realexistierenden Sozialismus mit kantigem Gesicht, goldblondem Haar und stahlblauen Augen. Wenn er mit seinem nackten Oberkörper in der afrikanischen Sonne steht, dann glaubt man, ihm nur noch den Spaten in die Hand drücken zu müssen, um mal eben zehn Plattenbauten aus der afrikanischen Wüste empor zu schaufeln. Die Zweifel, die ihm an seiner Aufgabe kommen, wirken da doch sehr unglaubwürdig. Er ist bei den Spetnaz, der Delta Force der UdSSR, und ein paar verbrannte Lehmhütten lassen ihn schon zusammenklappen wie einen Gartenstuhl.

FH: Was Dolphs Aussehen angeht, so gebe ich dir Recht. Und nach ROCKY IV braucht man ihn auch nicht groß zu charakterisieren, da wird auf die Projektionsleistung der Zuschauer gebaut. Zu deiner Kritik: Ohne solche Vereinfachung wäre das Konzept des Films aber kaum durchzuhalten gewesen. Ich finde sogar im Gegenteil, dass Nikolais Wandlung zu spät einsetzt. Das liegt an Lundgren selbst, der kann noch so böse gucken, man sieht, dass er im Grunde seines Herzens ein Bärchen ist. Für mich wirkte der schon nach 15 Minuten bekehrt. Dass er doch noch seine Mission erfüllen will, erschien mir als Rückfall. Ist aber interessant, wie der Drang zum Amerikanersein hier wie du sagst eigentlich zu früh aus ihm herausbricht. Das unterstützt die Message ja quasi noch: Im Grunde ihres Herzens sind die Russen unzufrieden mit ihrem Schurkendasein und brauchen nur einen kleinen Schubser, um zu desertieren.

A: Das gilt dann aber auch nur für ausgewählte Russen, denn von der sowjetischen Armee wird er nach dem Misslingen seiner Mission sofort fallen gelassen. Die Kubaner, die offensichtlich nur Partner zweiter Klasse sind, dürfen ihn sogar foltern.

FH: Die Kubaner sind ja nicht nur Partner zweiter Klasse, die Partner sind sich auch spinnefeind: Der Kubaner fordert Nikolai ja auf, sein Land zu verraten und den Kubanern Informationen zuzuspielen. Das ist, wie ich finde, typisch für die Charakterisierung der Bösewichter im 80er-Actonfilm: Die sind so böse, dass íhnen jegliches Ehrgefühl und gleich auch noch die Vernunft abgeht. Im Grunde sind das alles menschliche Schlangen.

A: Ehrgefühl haben die Kubaner auf jeden Fall, nur eben einzig sich selbst gegenüber. Aus ihrer Sicht sind die Sowjets auch nur ein notwendiges Übel mit dem sie kooperieren gegen den amerikanischen Imperialismus. Nikolai kann die Ketten seiner Unterdrückung zerreißen und in die Wüste zur Selbstfindung flüchten. Seine Menschwerdung ist ja dann an folkloristischen Klischees kaum zu überbieten. Nachdem ihn ein Skorpion in den Hintern gezwickt hat, wird er von einem Buschmann, der offensichtlich der Kulisse aus DIE GÖTTER MÜSSEN VERRÜCKT SEIN entlaufen ist, zusammengeflickt und darf zur Komplettierung seiner Initiation auf Wildschweinjagd gehen. Danach ist er endlich „entkommunismusiziert“.



FH: Die Flucht in die Wüste zitiert m. E. DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI. Oder er nimmt THE DOORS vorweg, da werden ja auch Drogen genommen, wenn auch kein Skorpiongift. Der Grad an Stilisierung, die Nikolai in dieser Sequenz erfährt, ist kaum noch zu toppen. Mit eingeöltem Abdomen und schicken Army-Hotpants wird er zu einer Art schwulem Combat-Jesus für den Eine-Welt-Laden gemacht…

A: … mit stalinistischem Schöhnheitsideal. Tja, und was lässt sich zu den bekämpfenden Gruppen sagen: Die üblichen Schablonen und Dichotomisierungen. Die bösen Russkieschweine, immer mit genug Kubanern im Gepäck, die Handlangerdienste ausführen dürfen, auf der einen Seite; auf der anderen tapfere Bimbos, die für ihre Freiheit kämpfen und dazu amerikanische Rockmusik brauchen. Dass die auch noch aus den 1960ern stammt, sollte für den amerikanischen Zuschauer wohl einen Vietnambezug herstellen, damit er sich besser mit dem Konflikt in einem afrikanischen Fantasiestaat identifizieren kann.

FH:Die Russen schlagen Menschen mit dem Handrücken und sitzen zu Missionsbesprechungen in kargen Räumen ohne Lampe. Und die Buschneger sind herzensgute Naivlinge mit lustigem Akzent, die mit dem Klischee-gewordenen Mute der Verzweiflung tapfer wie die Löwen kämpfen, aber natürlich keine Schnitte haben. Um tatsächlich irgendwas auf die Kette zu kriegen, brauchen sie einen Malcolm-X-mäßigen Brillenträger als philosophischen Führer – der Nikolai auch nur anzusehen braucht, um zu wissen, dass der ‘n Guter ist – und dann schließlich einen Superkämpfer mit dem Herz auf dem rechten, amerikanischen Fleck. Warum sich die Russen überhaupt die Mühe machen, einen Einzelkämpfer auf diesen Führer anzusetzen, bleibt ein Rätsel. Ein Gunship hätte es doch auch getan. Und tut es dann ja auch.

A: Absolut. Dass es dann doch so leicht ist, den großen Sundata mit einem Hubschraubereinsatz zu beseitigen, hat mich ganz schön verwundert und wirkte irgendwie lieb- und einfallslos.

FH: Bliebe noch der Reporter: Der war für mich die Figur, die das Treiben – vor allem gemessen an DEATH WISH 3 – zu einer zunächst beinahe differenzierten Sache werden ließ. Denn der einzige Amerikaner des Films wird als schmieriger Rassist charakterisiert, der so voller plumpem Russenhass steckt, dass er keinen normalen Satz mehr aussprechen kann. Nach kurzer Zeit setzt dann aber der typische Mechanismus dieser Filme ein: Der Rassismus wird zur schrulligen Marotte verklärt, über die man herzhaft lachen kann. Und außerdem hat er ja Recht, das kommt erschwerend hinzu, die Russen sind ja fiese Mordschweine.



A: Ferguson ist die reinste Witzblattfigur und M. Emmet Walsh als dickbäuchiger, ewig fluchender Ami genau die richtige Besetzung dafür. Mit ihm und Brion James schien das sowieso so eine Art BLADE RUNNER-Nachtreffen zu sein. Abschließend würde ich sagen, dass der Film scheitert. Er suggeriert eine Komplexität, die sich am Schluss als Luftblase entpuppt. Er ist klassisch dreiaktig aufgebaut. Erst lustige Fluchtstimmung mit Undercoverspannung, dann Entehrung der Hauptfigur und Besinnung auf sich selbst. Zum Schluss dann die Revengenummer, die den mühevollen Aufbau in der Mitte beinahe verspottet. Durch den TV-Serienschluss, wo Nicolai verkündet, dass es jetzt erst richtig losgeht, hat man das Gefühl, einen Pilotfilm gesehen zu haben, der die Menschwerdung Nikolais zu einer reinen „Veramerikanisierung“ verklärt. Der Amireporter Ferguson erklärt es ja sogar noch: „Jetzt gehörst Du zu uns!“


FH: Ja, der Film ist ganz ähnlich wie DELTA FORCE von einer inneren Zerrissenheit geprägt. Man scheint sich fast dafür zu schämen, einen Actionfilm zu machen. Das sieht man daran, dass die Action-Set-Pieces sehr ökonomisch über den Film verteilt wurden und dagegen der Menschwerdungsprozess, der für mich lediglich ein getarnter Amerikaner-Werdungs-Prozess ist, breiten Raum einnimmt. Ich finde das aber recht spannend, wie da die Philosophie-für-Baumschüler-Nummer abgezogen wird, Nikolais Erklärung gegenüber dem freundlich feixenden Buschmann „I am Nikolai“ von diesem missverstanden wird und Nikolai fortan nur noch „I am“ heißt. „I kill therefore I am“ oder so. Auch dieses Schlussbild, wo Dolph bestätigt, nun endlich dazuzugehören, indem er den Lieblingsfluch des Reporters für sich beansprucht: „Fuckin’ A!“

A: Alles in allem nicht mein Film, auch wenn Dolphs Lächeln, eine Mischung aus Debilität und Liebenswürdigkeit, mir aus verschiedensten Gründen Tränen in die Augen lockte.

FH: Sieh es mal so: Wie viele Actionfilme gibt es schon, die einen so emotional berühren?

A: Jeder!