Am Ende des Weges

Frankreich 1976
Regie: Philippe Labro, Drehbuch: Philippe Labro, Jacques Lanzmann, Kamera: Jean Penzer, Musik: Michel Colombier, Schnitt: Jean Ravel,
Darsteller: Jean-Paul Belmondo (Der Greifer), Bruno Cremer (Die Bestie), Jean Negroni (Spitzer), Patrick Fierry (Costa Valdes), Jean Pierre Jorris (Salicetti)
Synopsis: „Der Greifer“ ist ein ehemaliger Großwildjäger, der sich nun im geheimen Auftrag des Justizministeriums der Jagd auf das böseste, widerlichste und feigste Tier verschrieben hat: den Menschen. Sein neuester Auftrag ist die Ergreifung der „Bestie“, eines kaltblütigen Verbrechers, der junge Männer für seine brutalen Raubzüge einspannt, sie die Drecksarbeit machen lässt, um sie danach zu „entsorgen“. Doch einer seiner Handlanger kann entkommen und der Greifer wird sogleich auf ihn angesetzt, um die Spur der Bestie aufzunehmen ...
FUNKHUNDD: DER GREIFER ist ein typischer harter, zynischer und desillusionierter französischer Krimi aus den Siebzigern, mit einem gewohnt souverän aufspielenden Bebel. Von den Menschen hat der Greifer längst die Schnauze voll, als Kopfgeldjäger verdingt er sich auch nicht aus moralischem Antrieb, sondern nur, um möglichst schnell das nötige Kleingeld für die einsame Insel zusammen zu bekommen, auf die er sich zurückziehen will.


A: Der Greifer wirkt nicht unzufrieden, da er dem Sisyphismus verhaftet ist. Er erledigt die Arbeit um ihrer selbst wegen und ist zufrieden mit dem, was er tut, auch wenn es am Ende sinnlos sein sollte. Er ist sich seiner Funktion nicht voll bewusst und wird deshalb genauso wenig wie Sisyphus jemals den Stein vollständig den Berg hoch rollen wird seinen Traum von der Insel erfüllen können.

A: Völlig richtig! Der Greifer scheint erfüllt von der Aufgabe um ihrer selbst willen, aber erhält sich unwissentlich eine Illusion. Wie in vielen französischen Krimis haben wir in DER GREIFER das Dualitätsprinzip. Gut und Böse werden nicht einfach gegenüber gestellt, sondern als Bestandteil ein- und derselben Sache präsentiert. Ein Thema, welches John Woo, der ein großer Verehrer Melvilles ist, gern in seine Filme eingebaut hat, so in THE KILLER oder in IM KÖRPER DES FEINDES. Jedoch geht es hier weniger darum, dass der Greifer und die Bestie eine Figur sind, die sich in ihre jeweiligen Gegenstücke aufsplittet, sondern, dass es sich um zwei Menschen handelt, die auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes und der Gunst des Zuschauers stehen, aber doch jeder

FH: Dieser Aspekt geht in dem Film aber leider etwas unter, da die Figur der Bestie über weite Strecken im Hintergrund bleibt. Was aber deutlich wird, ist, dass beide eine Geheimidentität haben, um sich von der Gesellschaft abzuschotten. Der Greifer verweigert sich in der ersten Einstellung regelrecht der Kamera, er dreht sich weg, während sie versucht, einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen und die Bestie ist, wenn er nicht unter diesem Namen unterwegs ist, ein kultivierter und homosexuell verzärtelter

A: Anders als Woo, der in THE KILLER eine Chance auf Freundschaft zwischen dem die Seelenverwandtschaft spürenden Polizisten und dem Auftragsmörder in den Raum stellt, werden der Greifer und die Bestie sich nur als Feinde gegenüber stehen können. Es kann zwischen ihnen nur auf eine Konfrontation hinauslaufen. Der eine wird von der Gesellschaft benutzt – in seinem Fall die Regierung –, um illegale Aktionen durchzuführen, bei denen der Staat seine eigenen Gesetze umgeht, da er die in seinen Augen gesellschaftsschädigenden Elemente nicht auf juristischem Wege belangen kann. Er steht nicht in der Öffentlichkeit und von seiner Existenz darf auch nichts bekannt werden. Der andere wird von der Gesellschaft, den Medien und dem Staat instrumentalisiert, um ein Feindbild zu kreieren. „Der gefährlichste Verbrecher Frankreichs“ posaunt der ermittelnde Kommissar dann auch und die Skrupellosigkeit, mit der die Bestie ihre Taten begeht, scheint daran nur wenig Zweifel zu lassen.

A: Da spiegelt sich die Angst des Staates vor dem Machtverlust wider. Bevor Sympathien mit einem Gesetzesbrecher aufkommen, muss er der Gesellschaft als echte Gefahr propagiert werden, damit der „gemeine Mann auf der Straße“ nicht so viel über ein durch korrupte Politiker korrumpiertes System nachdenkt. Der Staat braucht seine künstlichen Feindbilder.
FH: Was auffällt, vor allem auf der Seite der Rolle des sonst auf Filous und Lebemänner abonnierten Belmondo, ist seine Einsamkeit im Film. Beide Figuren sind absolute Einzelgänger: Der Greifer hat keine Geliebte, keine Freunde – das ändert sich im Verlauf des Films. Und auch sein Sieg am Ende erscheint alles andere als triumphal. Zu viele Menschen mussten sterben und mit der Bestie ist auch nur einer von vielen seinem „verdienten“ Ende zugeführt worden.


FH: Ja, die Welt kommt nicht gut weg in Labros Film. Jugendliche müssen sich mit kleinen Delikten über Wasser halten, um in den schmutzigrauen, verrotteten Stadtlandschaften nicht unterzugehen. Polizisten und Politiker sind gleichermaßen korrupt und vulgär und der Staat, der seine Bürger schützen soll, hetzt zwei Killer aufeinander, um sich ein unliebsames Problem vom Hals zu schaffen.

FH: Der Film nimmt sich passend zu dieser existenzialistisch angehauchten Philosophie auch eine ganze Ecke ruhiger aus als etwa ANGST ÜBER DER STADT oder spätere Belmondo-Klopper á la DER AUSSENSEITER oder DER PROFI. Die spektakulären Stunts, für die Belmondo ja berühmt war, fehlen hier weitestgehend. Dafür dynamisiert Regisseur Labro die Erzählung, indem er sie in viele kleine Episoden zersplittert. Das sorgt zwar wie eingangs erwähnt dafür, dass die Geschichte um die Bestie über weite Strecken des Films in den Hintergrund tritt, andererseits entspricht diese Erzählhaltung aber sehr der Weltanschauung der beiden Gegner: Nichts ist von Belang, die Ereignisse fliegen vorüber, sind nur Zwischenstationen auf dem Weg zum Ziel. Doch dass dieses erreicht wird, daran lässt Labro im Verlauf des Films mehr als berechtigte Zweifel aufkommen: Der Greifer sagt irgendwann sinngemäß, dass er den Dschungel besser doch nie verlassen hätte, und die Bestie scheint angesichts der Reichtümer, die sie schon

A: Ein weiterer Verknüpfungspunkt zwischen den beiden lässt sich durch den jungen, gutaussehenden Costa Valdes finden. In einer Rückblende erfahren wir, dass die Bestie ihm früher schon einmal begegnet war und er ihr damals gerade noch aus dem Fangnetz entkommen konnte. Da wollte die Bestie ihn nur als sexuelle Abwechslung, später wird sie ihn als Komplizen für einen Überfall anwerben, ohne dass die Beiden sich erkennen. Doch bei Valdes wird die Erinnerung einsetzen, während er für „den gefährlichsten Verbrecher Frankreichs“ nur ein Gesicht von vielen ist. Die Zuneigung, die der Greifer für Costa Valdes empfindet, ist hingegen eher latent homosexuell und erinnert an die adoleszenten Neckereien, die ältere Jungen oder Ranghöhere in hierarchisierten Vereinigungen gerne an jüngeren Mitgliedern ausüben. Er haut Valdes in die Magengrube, um ihn herzhaft zu begrüßen, er verzichtet darauf, bei der Undercoveraktion von seinem verbündeten Kommissar aus dem Gefängnis geholt zu werden und bricht lieber aus, um Valdes mitnehmen zu können, und als die Weinbauern Valdes „in der Mache haben“ haut er ihn abermals raus. Der Greifer begibt sich immer wieder in gefährliche Situationen, die zumeist durch das unüberlegte Verhalten Valdes’ ausgelöst werden, und rettet den Jungen, obwohl er ohne ihn wesentlich mobiler wäre.


A: Das Zitat Oscar Wildes macht für den Zuschauer noch einmal deutlich, dass der Greifer ein Verlorener ist. Man hat den von Dir erwähnten Erkenntnisschritt mit der Figur zusammen vollzogen. Während er mit steinernem Gesicht an der Kamera vorbei sieht, nachdem er aus dem Kampf im Flugzeug als Sieger hervorgeht, reden die Angestellten eine Etage tiefer wild durcheinander und nur in der Originalfassung ist zu hören wie jemand sagt: „Wer ist dieser Mann? Wir wissen überhaupt nicht wer dieser Mann ist.“
FH: Da fällt einem dann fast zwangsläufig „Der Fremde“ von Camus ein. Aber man könnte diese Stimmen im Einklang mit den Ereignissen auch als weiteres Zeichen einer Bewusst-Werdung des Greifers interpretieren. Er ist ein Phantom, völlig allein auf der Welt ...


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