Dienstag, April 22, 2008

Abwärts!

Die Klapperschlange (Escape from New York)
USA 1981
Regie: John Carpenter, Drehbuch: John Carpenter, Nick Castle, Kamera: Dean Cundey, Jim Lucas, Musik: John Carpenter, Schnitt: Todd C. Ramsay
Darsteller: Kurt Russell (Snake Plissken), Lee Van Cleef (Police Commissioner Bob Hauk), Ernest Borgnine (Cabbie), Isaac Hayes (The Duke of New York), Donald Pleasence (The President of the United States), Harry Dean Stanton (Brain), Adrienne Barbeau (Maggie)

Synopsis: 1997: Auf dem Weg zu einem wichtigen Gipfeltreffen, auf dem ein möglicher Atomkrieg verhindert werden soll, wird die Air Force One von Terroristen entführt und über Manhattan zum Absturz gebracht. Der New Yorker Stadtteil fungiert mittlerweile als Hochsicherheitsgefängnis, nachdem die USA dem Verbrechen anders nicht mehr Herr werden konnten: Wer als Gefangener in Manhattan landet, kommt nie wieder heraus, auf den Straßen der ehemaligen Metropole regiert das Gesetz des Stärkeren. Um den Präsidenten und mit ihm die Welt zu retten, wird der ehemalige Elitesoldat und jetzige Häftling Snake Plissken mit der Begnadigung geködert und nach Manhattan geschickt. Der Haken: Plissken hat nur 22 Stunden Zeit, bevor ein ihm injizierter Sprengsatz explodiert ...

Der Außenseiter: Versuchen wir DIE KLAPPERSCHLANGE mal in seiner Entstehungszeit zu kontextualisieren bzw. ihn aus diesem Kontext heraus zu erklären. Die zweite Hälfte der 1970er-Jahre entwickelte durch ihre politischen und gesellschaftlichen Verläufe ein neues Klima der Desillusionierung und Hoffnungslosigkeit. Nach einer gescheiterten Friedensbewegung, einem für die Amerikaner gescheiterten Vietnamkrieg, der gerne – insbesondere von sozialistischer Seite – stellvertretend für ein Scheitern des „kapitalistischen Systems“ gesehen wurde, Watergate, der Energiekrise, SALT II-Verträgen bei gleichzeitigem Nato-Doppelbeschluss für die Nachrüstung von Atomwaffen, einer zunehmenden Radikalisierung terroristischer Elemente gegen die Demokratie, explodierenden Kriminalitätsstatistiken, dem Papst-Mord, dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan, sowie diversen anderen Ereignissen, welche die eine Dekade zuvor noch geäußerten Wünsche und Hoffnungen ad absurdum führten, fühlte sich die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht an einem desillusionierten Endpunkt. Direkte Antwort auf solche Verläufe war die sich seit der Mitte der 1970er entwickelnde Punk-, Null-Bock-, und No-Future-Bewegung der Jugend und Jung-Erwachsenen. Viele progressive Regisseure haben dies zu dieser Zeit in Filmen thematisiert wie L.Q. Jones mit DER JUNGE UND SEIN HUND, George Miller in MAD MAX und dessen Fortsetzung, George A. Romero in ZOMBIE, David Cronenberg in seinem RABID – DER BRÜLLENDE TOD oder auch Hollywoodregisseure wie Phillip Kaufman in seinem Remake DIE KÖRPERFRESSER KOMMEN. Was 20 und sogar 10 Jahre zuvor noch nicht sein durfte, wurde nun direkt im Massenmedium Film zelebriert: der Untergang der Welt. (bemerkenswert hierbei, dass Jones in seinem DER JUNGE UND SEIN HUND die explodierenden Atombomben noch nicht bei der Aufführung 1976, sondern erst bei der Wiederaufführung 1982 einarbeitete). Faszinierend an diesen Dystopien ist vor allem, dass sie, anders als in früheren Weltuntergangsszenarien, diesen möglichst dicht am Zeitgeschehen präsentieren, am besten in der Gegenwart der Entstehung des Filmes oder nur wenige Jahre in der Zukunft liegend. Das Ereignis wurde für den Rezipienten ähnlich dicht herangeholt wie es die Gesellschaft zu dieser Zeit spürte und spüren musste. Eine derartige Verdichtung der den Zuschauer umgebenden Realität und Zelebrierung einer solchen nur etwas weitergedachten im Populärkino, gab es selten. Entsprechend sind Carpenters konzentrierte Punkte: totalitäres System USA, Hochsicherheitstrakt, Präsidentenentführung, bevorstehender Atomkrieg, ein Mann geht rein. Vom Konzept her somit ein typischer Carpenter.

FUNKHUNDD: Richtig: DIE KLAPPERSCHLANGE ist von einer absolut bemerkenswerten inhaltlichen und inszenatorischen Dichte. Die lapidar per eröffnender Schrifteinblendung umrissene Dystopie, die den Hintergrund für DIE KLAPPERSCHLANGE bildet, böte allein schon genug Stoff für mehrere Filme und fasziniert mit ihrer pointierten Knappheit, die das Unfassbare in wenigen, nüchternen Worten zum Faktum erhebt. Vor diesem weit aufgespannten Hintergrund siedelt Carpenter dann jedoch geradezu kontrapunktisch eine Geschichte an, die nicht in die Breite drängt, sondern nach Innen, zum Kern: ein zum Innenraum geschrumpftes Manhattan, 22 Stunden Zeit, ein Mann, ein Auftrag. Und der bevorstehende Atomkrieg, über dessen Ursachen wir nichts wissen, schwebt als latente, undeutliche Bedrohung über dem Geschehen. Dieser Kniff macht aus dem Endzeitfilm einen Film des Hier und Jetzt. Mit jeder Minute, die Plissken verliert, wächst der Druck, der sich in jedem Bild zu manifestieren scheint. Ein Druck, der sich ohne Verlust auf den Zuschauer überträgt, weil der gewohnt minimalistische, von Carpenter selbst komponierte Score die Sekunden hörbar verrinnen lässt und jedes einzelne Bild eine ganze Welt enthält. DIE KLAPPERSCHLANGE erzählt im Prinzip unendlich viele Geschichten: die für den Zuschauer sichtbare ist nur eine davon.

A: Ja, das fasziniert bei DIE KLAPPERSCHLANGE wie bei kaum einem zweiten Film Carpenters. Da verzeiht man auch gerne, dass die Inszenierung hier nicht immer ganz so geschlossen und intensiv erscheint wie in seinen Referenzfilmen ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT oder HALLOWEEN – DIE NACHT DES GRAUENS. Der Film ist angelegt wie ein Tableau. Es ist bemerkenswert, dass jede Szene für sich ganz allein funktioniert, gestärkt durch ein jeweiliges, nur für diese Szene komponiertes und nur in dieser Szene gespieltes Musikstück auf dem Synthesizer, und trotzdem ein integraler Eindruck bei Betrachtung entsteht. Es ist auffällig, dass Carpenter so manches Mal seine Mühen mit den inhaltlichen Anschlüssen hat – allein der Tausch zwischen Cabbie und Romero ist schon sehr an den Haaren herbeigezogen –, aber DIE KLAPPERSCHLANGE erhält, nicht zuletzt durch die musikalische Komposition, etwas sehr Symphonisches. Ein Film, der gefühlt und erst in zweiter Linie nach seinem narrativen Konzept beurteilt wird. Die einzelnen Stimmungsbilder bzw. -szenen etablieren von Anfang an die Ausgangssituation. Nach der kurzen Einführung fährt die Kamera die Gefängnismauer hoch und wir überblicken die inzwischen stockdunkle Skyline New Yorks. Ein aus Plastikflaschen zusammenmontiertes Floß dient zwei Flüchtlingen zur Überruderung des Hudson Rivers. Nach einem Warnschuss vom Hubschrauber auf das Floß und der Aufforderung zurückzurudern, wird, ohne dass genug Zeit fürs Zurückrudern bleibt, gleich ein zweiter Schuss abgefeuert, und die Flüchtigen explodieren mitsamt ihrem zusammengebastelten Boot. Die Kompromisslosigkeit des Gefängnisregimes und einer amerikanischen Regierung, die so ein Vorgehen in ihrem eigenen Land toleriert, sogar fördert, ist nur noch ein weiter gedachter Schritt zu Guantanamo-Bay.

FH: Ich kann mich deinen Ausführungen nur anschließen und würde dazu gern etwas polarisieren: Wenn man DIE KLAPPERSCHLANGE Böses nachsagen wollte, könnte man behaupten, er verspreche mehr als er letztlich einlöse. Was Carpenter uns vom Leben hinter den Gefängnismauern zeigt, mutet im Vergleich zu dem, was man sich als Zuschauer nach dem Eingangstext ausmalt, eher harmlos an. Das lässt sich aber fast durch das gesamte Werk Carpenters hindurch beobachten: Seine Filme brechen immer ein bisschen ein, wenn er den Aufbau geleistet hat. In DIE KLAPPERSCHLANGE wirkt sich das aber nicht negativ aus (wie bei anderen, späteren Filmen Carpenters), im Gegenteil: Die Zuschauerfantasie läuft als ständige Latenz neben dem Film her und wertet das Sichtbare erst auf. Man könnte sagen, Carpenter bezieht den extradiegetischen Raum in seiner Inszenierung gleich mit ein. Auffällig am von mir so bezeichneten „Einbruch“ in DIE KLAPPERSCHLANGE ist, dass er mit zwei Brüchen auf narrativer Ebene einhergeht: dem kurzzeitigen Verschwinden Snakes, der sich abseits vom Geschehen von einer Verletzung erholt, und dem Hereinbrechen des Tages. Wir haben es ja mit einem ausgesprochenen Nachtfilm zu tun, umso wichtiger erscheinen die wenigen Minuten, in denen Carpenter dem Zuschauer die Helligkeit gönnt. Der Himmel über Liberty Island, wo sich das Kontrollzentrum befindet, von dem aus Hauk die Handlungen Snakes überwacht, ist von einem eisblauen, völlig klaren, aber tot wirkenden Himmel überspannt. Dieser Himmel ist eigentlich alles, was man von den USA außerhalb der Gefängnismauern zu sehen bekommt, und er reicht völlig aus, um den Zustand des Landes zu verbildlichen. Es herrscht eine Art ewiger Winter, die Wolkenlosigkeit kann über die herannahende Apokalypse nicht hinwegtäuschen, ist vielmehr schon ihr Bote. Das Innen des Gefängnisses, das ja eigentlich das „andere“ Amerika sein soll, ist in Wahrheit mit diesem schon identisch. Das ist eine der Erkenntnisse, die Snake am Ende dazu bewegen werden, den Atomkrieg herbeizuführen: Es gibt nichts mehr zu verhindern, weil der sprichwörtliche „Tag danach“ in Form des Manhattan-Prisons bereits permanente Gegenwart ist.

A: Faszinierend im Hinblick auf die von dir so schön beschriebene künstlerische Ästhetik und visionäre Kraft ist die Tatsache, dass es Carpenter gelungen ist, eine Welt einem Action-Comic ähnlich zu kreieren, ohne, dass die Inszenierung von Figuren und Schauplätzen weniger organisch wirken würde. Neben der teils von Witz, aber im Grunde doch mehr von Düsternis geprägten Kulisse, haben wir es mit Figuren zu tun, die allesamt sprechende Namen, eben einem Comic gleich, haben. Da ist der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der eben immer nur „The President“ ist, der ewig quietschvergnügte Cabdriver „Cabbie“, der Tüftler „Brain“, der von Falkengesicht Lee van Cleef gespielte Polizeichef Bob Hauk, was unübersehbar „Hawk“ bedeutet usw. Trotzdem bleiben sie Menschen aus Fleisch und Blut, worauf der endgültig in der Ikonizität erstarrte „Snake“ Plissken am Ende rekurriert. Forderte er im Verlauf des Films immer wieder die Verwendung seines Spitznamens ein, sagt er am Ende des Filmes, was hier mit dem Ende der Welt gleichzusetzen ist, zu Hauk: „Mein Name ist Plissken.“ Snake Plissken ist der Anti-Held des Spätwesterns, der unberührbar durch die endzeitige Umgebung eines verfallenen Manhattans stolziert und sich selbst in den Kampfszenen kaum noch bewegen muss. Beim die Menge begeisternden Gladiatorenkampf in der Grand Central Station, wo es endlich zu einer systembedingten Auseinandersetzung kommen kann, da jedes System seinen Kämpfer gestellt hat – die amerikanische Regierung Plissken, die Gefangenen New Yorks einen 2,10 m großen Goliath – hält Plissken sich nicht lange auf und rammt – die eindeutige Überlegenheit seines Gegners erkennend – diesem die nagelbestückte Keule erst in die Weichteile und schließlich in den Hinterkopf. Der dramaturgische „Bruch“, Plissken für einige Zeit aus der Handlung zu nehmen und den Film für kurze Momente bei Tag spielen zu lassen, wird zum Verweis darauf, dass in DIE KLAPPERSCHLANGE die Welt nur noch wenig helle Momente kennt und der Tag eigentlich nur eine kurzzeitige Verdrängung der Nacht wird. Ähnliches werden wir noch in DER TERMINATOR ansprechen.

FH: Genau. Es ist sehr auffällig, dass der Tag innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens von knapp 22 Stunden eigentlich viel zu kurz ist. Auch daran zeichnet sich die symbolische Aufladung des Films ab: Die Nacht ist das Bild für den Ausnahmezustand, in dem sich die USA befinden. Ich möchte aber noch einmal auf die Figur des Snake Plissken zurückkommen. Seinen Antiheldenstatus legt Carpenter tatsächlich sehr geschickt an. Er wird schon vor seinem ersten Auftritt von den Sicherheitsbeamten entsprechend als Ikone eingeführt, als ein echtes Sicherheitsrisiko. Wenn er dann auftaucht, entpuppt er sich als ungepflegter Gammler, der das Sicherheitsaufgebot nicht wirklich zu rechtfertigen scheint. Das setzt sich im weiteren Verlauf des Films fort: Jeder kennt ihn, obwohl er doch keine Prominenz im eigentlichen Sinne, sondern lediglich ein ehemaliger Soldat ist. Das stützt zum einen deine schön herausgearbeitete Comic-These: In Comics wie im Mythos geht die Größe der Tat ja immer mit Berühmtheit einher. Wer etwas leistet bzw. repräsentiert, ist automatisch auch bekannt. Das vertrackte an DIE KLAPPERSCHLANGE ist, dass nicht genau zu sagen ist, worin diese Leistung Plisskens besteht. Was prädestiniert ihn zum Helden, was macht das Antiheldische an ihm aus? Snake hat keinen Tyrannen ermordet, keine Schlacht entschieden und auch keine Kameraden gerettet, sondern vielmehr ein Verbrechen, nämlich Landesverrat, begangen. Das macht ihn zu einem der gefürchtetsten Verbrecher der USA, aber weil es sich bei diesen USA um ein Unrechtssystem handelt, gleichzeitig zu einem Helden. Hier eröffnet sich eine Parallele zu einem anderen dystopischen Actionfilm der Achtziger, zu Paul Michael Glasers RUNNING MAN.

A: Hier zeigt sich auch ein wiederkehrendes Thema bei Carpenter und zwar wie der Nicht-Held zum Antiheld nach modernem Verständnis wird. Auch wenn die Definition für „Held“ oder „Heldentum“ kulturell unterschiedlich sein kann, so haben sie doch alle gemeinsam, dass der Held im rechten Augenblick das Richtige vollbringt und dass er sich durch Fähigkeiten auszeichnet, die ihn gegenüber anderen prädestinieren. Dies muss, wie auch im Falle von Snake Plissken, optisch nicht gleich erkennbar sein, doch eine noch viel elementarere Begleiterscheinung, die sich in allen Heldensagen finden lässt, egal ob es der muskelbepackte Samson oder der kleinwüchsige David ist, ist der Widerstand gegen Autoritäten. Ob nun der Befehl eines Feldwebels in der Schlacht, der als unsinnig erachtet wird, bis hin zum Trotzen der Götter, also der absolut nur höchsten, denkbaren Instanz, hat der „Held“ ein Problem damit, zumindest auf lange Sicht oder bis ein bestimmter Punkt erreicht ist, sich unterzuordnen. Bezeichnenderweise lautet die trockene Antwort des Captains in Carpenters ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT, als die Hauptfigur Ethan Bishop damit kokettiert in der ersten Dienstnacht gleich den Helden spielen zu wollen: „Es gibt keine Helden mehr. Nur noch Männer, die Befehle ausführen.“ Eine Zeit, in der es keine Helden mehr gibt bzw. nicht mehr geben kann, weil alles, wie im totalitären System von DIE KLAPPERSCHLANGE dargestellt, „auf Linie gebracht wurde“, ist eine düstere Zeit. Bezeichnenderweise wird Plissken nicht wegen der Verweigerung des militärischen Befehls eingesperrt, sondern weil er versucht hat in ein Depot für Nuklearwaffen einzudringen. Ein deutlicher Verweis auf die Destruktion, die der Figur inne wohnt, sowie das Ende des Films. Plissken hat sich gegen das System gestellt und wie alle Abweichler wird auch er in das gigantische Gefängnis New York verfrachtet. Die Ohnmacht des Systems gegenüber Andersdenkenden und -handelnden zeigt sich nicht nur darin, dass kleinste Verfehlungen zu lebenslanger Verbannung führen, sondern auch darin, dass die folglich große Anzahl an Straffälligen sich selbst überlassen werden muss. Eine Struktur und Ordnung wird ihnen gar nicht mehr aufgezwängt, eine Resozialisierung ist unmöglich. Sollen sie selbst zusehen wie sie klar kommen. Man sichert ihnen ein Überleben, indem man regelmäßig Lebensmittel im Central Park abwirft und man sichert die Außenmauern durch schweres militärisches Gerät. Doch hat sich, so wie es dem Menschen nun mal zu Eigen ist, eine eigene Struktur im Inneren der Gefängnismauern generiert. Ein Farbiger, in Amerika die ewig unterdrückte ethnische Minderheit, ist nun „der Duke“, der alles kontrolliert. Wer nicht zur Gang des Dukes gehört, ist entweder jemand, der einer großen Masse von Leuten angehört, die irgendwie zusehen müssen wie sie überleben (vergleichbar mit unserer Mittelschicht) oder gehört zum absolut letzten Pack. Die Unterschicht ist in dieser Welt auch tatsächlich in den Untergrund gegangen. Die Crazies, verwilderte Kannibalen, leben in der Kanalisation und jagen jedem, auch mächtigen Gangs, Angst ein.

FH: Dieses anarchisch-archaische Element zählt zu den definierenden Merkmalen des Endzeitfilms und verbindet ihn auch mit der post-punkigen Attitüde des New Wave der Achtzigerjahre, die ja, wie du schon ausgeführt hast, nicht zuletzt durch den sich zum Dritten Weltkrieg auszuweiten drohenden Kalten Krieg geprägt waren. Dies im Hinterkopf entpuppt sich der apokalyptische Endzeitfilm als antiautoritäres Standbein des Actionkinos der Achtzigerjahre: Snake Plissken steht einem John Rambo trotz vieler Gemeinsamkeiten diametral gegenüber. Wo der eine die Heimat sucht, die ihn als Sohn aufzunehmen bereit ist, hat sich der andere längst damit abgefunden, dass es nichts mehr zu finden gibt. Plissken lebt nur noch im Augenblick. Die sichtbare Angst vor dem Tod durch die Injektion, die ihm zu Beginn verpasst wird, weicht binnen Sekunden der Bereitschaft alles und jeden, sich selbst eingeschlossen, zur Hölle zu schicken. Und so wie Überlebenswille und Todessehnsucht sich in Plissken vereinen, stehen Aufbegehren und Fatalismus im Endzeitfilm direkt nebeneinander: In DIE KLAPPERSCHLANGE gibt es diesen Gefängnisstaat im Staat, in dem das Recht des Stärkeren herrscht. Außerhalb – das können wir allerdings nur vermuten – herrscht wohl eine ähnliche Tristesse, jedenfalls tritt der Staat als nicht besonders sympathisch und menschenfreundlich in Erscheinung. Demgegenüber etabliert sich aber eine buchstäbliche Subkultur innerhalb der Gefängnismauern, man denke etwa an die Vaudeville-Aufführung, die die Insassen in einem stillgelegten Kino veranstalten. Und so trostlos und verkommen die Straßenschluchten und ihre Ruinen auch sind, sie wirken gleichzeitig lebendiger als die symmetrisch angelegten Hochsicherheitstrakte auf Liberty Island. Wie in MAD MAX: JENSEITS DER DONNERKUPPEL gezeigt wird, ist es eher vorstellbar, dass aus dem archaischen Treiben in Manhattan einmal eine neue Gesellschaft erwächst, als aus dem rigiden und aseptischen Apparat, der dieses umgibt und gleichzeitig ein- und ausschließt. Dass es dazu natürlich nicht kommen wird, markiert das dystopische Element des Films. Der Glaube an eine friedliche Revolution, der die 68er, denen auch Carpenter zumindest ideologisch angehört, beseelte, ist in DIE KLAPPERSCHLANGE einer bitteren Resignation gewichen: Dem müde gewordenen Helden ist die Welt scheißegal, weil auch ein Atomkrieg die Lage nicht mehr wesentlich verschlimmern kann: Eher birgt er die Chance zu einem Neuanfang. Vielleicht eine Idee, die Snake seinem Ausflug nach Manhattan und der Begegnung mit Menschen wie Cabbie oder Brain zu verdanken hat. Seine selbstlose Heldentat besteht am Ende jedenfalls darin, den Weltuntergang zu besiegeln. Aber er tut dies durchaus mit Humor.

A: Eine faszinierende Vorstellung und wirklich der absolute Inbegriff der philosophischen Aussage, die dem Genre des Actionfilms inne wohnt. Der (Anti-)Held begeht seine selbstlose Tat, in dem er die Welt zur Hölle schickt. Über einen reorganisierenden Aufbau wird sich hierbei keine Gedanken gemacht. Kurt Russell verlässt die Szenerie nach rechts aus dem Bildausschnitt gehend und symbolisiert damit das Sprichwort: Nach mir die Sintflut. Und zu dieser wird es auch kommen. So amüsant, ja schon zu lautem Lachen anregend das Ende von DIE KLAPPERSCHLANGE ist, wenn der mit ernster Stimme sprechende Präsident der Vereinigten Staaten per Videokonferenz zum Hartford-Gipfel zugeschaltet wird, um den russischen und chinesischen Delegierten mittels Tonbandkassette die Ausführungen der Wissenschaftler über die schrecklichen Auswirkungen eines atomaren Krieges vorzuspielen, so bitter wiegt die Erkenntnis, dass der plötzlich aus dem Kassettenspieler dringende Swing-Jazz, den Cabbie so gerne gehört hat, die Delegierten wenig zum Lachen reizen wird. An der versteinerten Miene des Präsidenten lässt sich erkennen, was die Stunde geschlagen hat. Andererseits stellt sich auch die Frage, was eine Welt, die ihr Schicksal nur noch von ein paar auf einem Tonband konservierten, wissenschaftlichen Erklärungen abhängig macht, überhaupt noch für eine Existenzberechtigung hat?